Kommentar Stuttgart 21: Politik der Gefühle
Ohne "Stuttgart 21" keine "Wutbürger". "Wutbürger" als Gegenkonzept zur Parteiendemokratie. Und die Parteien haben immer noch nicht darauf reagiert.
D a sind sie wieder, die Bilder, die die Republik so lange in Aufruhr versetzt hatten: Wütende Stuttgarterinnen und Stuttgarter sitzen auf den Straßen, blockieren die Bauarbeiten, legen sich erneut mit der Staatsmacht an. Denn: Ihr Freund, der Baum, soll zwar nicht sterben, aber immerhin versetzt werden, woandershin. Die Bilder zeigen: Auch all jene rationalen Verhandlungen um die Zukunft des Stuttgarter Bahnhofs konnten eines nicht auflösen - die tiefe emotionale Betroffenheit der Menschen. Und genau diese hat, noch immer, eine politische Dimension.
Denn nachdem "Stuttgart 21" im letzten Jahr wie kaum ein anderes Thema zu einer emanzipatorischen Heilserfahrung hochgedeutet wurde, kristallisiert sich jetzt das politische Ergebnis all der Proteste langsam, aber ernüchternd heraus: Die Grünen schließen weiterhin eine Koalition mit der viel gescholtenen CDU nicht aus. Und noch bemerkenswerter ist, dass sich die bundesweite Debatte um Demokratie und Partizipation schon wieder totgelaufen hat.
Trotz des verbreiteten Erstaunens über den "Schwabenaufstand" und die "Wutbürger" haben die politischen Parteien noch immer nicht beantwortet, mit welchen echten demokratischen Erneuerungen sie ihre Lehren aus dieser beispielhaften Demokratiekrise ziehen wollen. Was, bitte, haben sie heute programmatisch im Angebot?
MARTIN KAUL ist Redakteur für "Politik von unten" bei der taz.
Diese Frage in Erinnerung zu rufen und zwar im Schwabenland und darüber hinaus, kann die Politik der Gefühle leisten, die von den Stuttgarter Demonstranten nun wieder betrieben wird. Ob der Grund ihres Protests ein Baum oder ein Bahnhof ist, ist dabei unerheblich. Folgen hat, dass er ausstrahlt und berührt. Gegen die Routinen der Parteien bietet das Gefühl die Möglichkeit des Widerstehens.
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