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Kommentar Stuttgart 21Politik der Gefühle

Martin Kaul
Kommentar von Martin Kaul

Ohne "Stuttgart 21" keine "Wutbürger". "Wutbürger" als Gegenkonzept zur Parteiendemokratie. Und die Parteien haben immer noch nicht darauf reagiert.

D a sind sie wieder, die Bilder, die die Republik so lange in Aufruhr versetzt hatten: Wütende Stuttgarterinnen und Stuttgarter sitzen auf den Straßen, blockieren die Bauarbeiten, legen sich erneut mit der Staatsmacht an. Denn: Ihr Freund, der Baum, soll zwar nicht sterben, aber immerhin versetzt werden, woandershin. Die Bilder zeigen: Auch all jene rationalen Verhandlungen um die Zukunft des Stuttgarter Bahnhofs konnten eines nicht auflösen - die tiefe emotionale Betroffenheit der Menschen. Und genau diese hat, noch immer, eine politische Dimension.

Denn nachdem "Stuttgart 21" im letzten Jahr wie kaum ein anderes Thema zu einer emanzipatorischen Heilserfahrung hochgedeutet wurde, kristallisiert sich jetzt das politische Ergebnis all der Proteste langsam, aber ernüchternd heraus: Die Grünen schließen weiterhin eine Koalition mit der viel gescholtenen CDU nicht aus. Und noch bemerkenswerter ist, dass sich die bundesweite Debatte um Demokratie und Partizipation schon wieder totgelaufen hat.

Trotz des verbreiteten Erstaunens über den "Schwabenaufstand" und die "Wutbürger" haben die politischen Parteien noch immer nicht beantwortet, mit welchen echten demokratischen Erneuerungen sie ihre Lehren aus dieser beispielhaften Demokratiekrise ziehen wollen. Was, bitte, haben sie heute programmatisch im Angebot?

Bild: taz
MARTIN KAUL

MARTIN KAUL ist Redakteur für "Politik von unten" bei der taz.

Diese Frage in Erinnerung zu rufen und zwar im Schwabenland und darüber hinaus, kann die Politik der Gefühle leisten, die von den Stuttgarter Demonstranten nun wieder betrieben wird. Ob der Grund ihres Protests ein Baum oder ein Bahnhof ist, ist dabei unerheblich. Folgen hat, dass er ausstrahlt und berührt. Gegen die Routinen der Parteien bietet das Gefühl die Möglichkeit des Widerstehens.

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Martin Kaul
Reporter
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4 Kommentare

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  • H
    hto

    "Es sind die Auswirkungen eins bis zum Eichstrich gesättigten Volkes das jede Veränderung fürchtet."

     

    - und die Eichung, für die Pflege der leicht manipulierbaren Bewußtseinsschwäche in Angst, Gewalt und "Individualbewußtsein", ist die gutbürgerliche Bildung zu Suppenkaspermentalität auf stets systemrationaler Sündenbocksuche.

  • F
    Florentine

    Herr Kaul schreibt zB: "Trotz des verbreiteten Erstaunens über den "Schwabenaufstand" und die "Wutbürger" haben die politischen Parteien noch immer nicht beantwortet, mit welchen echten demokratischen Erneuerungen sie ihre Lehren aus dieser beispielhaften Demokratiekrise ziehen wollen". Mit keinen Erneuerungen, Herr Kaul, mit keinen. Demokratiekrise? Der Bürger stört, nach wie vor und wird auch zukünftig so betrachtet. Die Mächtigen wollen weiterhin ungestört ihr Süppchen kochen. Bei Kohl und Strauß, als Hunderttausende auf die Straße gingen für den "Frieden" und gegen "Wackersdorf", hieß es von Seiten der Politik: "Die demonstrieren, wir regieren". Schon damals wurden die Demonstranten diffamiert; sie würden Tagegelder fürs Demonstrieren bekommen. Es wird kleine Erfolge gegen die Machtpolitik immer wieder geben (Ende von Wackersdorf zB), allerdings setzt die Macht im Lande ihre Polizeitruppen nach wie vor und immer wieder gegen die Menschen ein. Nur schreit leider keiner in Deutschland nach Demokratie oder gar "Tunesien", wenn, wie in Heiligendamm,S21 oder anderswo Menschen gnadenlos zusammengeknüppelt und Körperverletzt werden. Die Sprachgeregelten Medien in Deutschland sprechen dann ganz seriös vom "Einsatz der Sicherheitskräfte". Und dann kommt die realdemokratisch so gewollte Kuscheldecke drüber. Demokratisierung, Tunesien bei uns? Nix da. Lt. EU-Lissabon-Vertrag kann die Regierung sogar bei "Aufruhr" oder "Aufstand" auf die eigene Bevölkerung in Deutschland schießen lassen. Naja, ganz demokratisch aber, eh klar.

  • J
    Janine

    In einem einzigen Punkt haben Sie recht, Herr Kaul:

    Stuttgart 21 wurde zu einer emanzipatorischen Heilserfahrung lediglich hochstilisiert.

     

    Das war's dann aber auch.

    Den Gegnern geht es nämlich nicht um konsequente politische Teilhabe an politischen Prozessen. Ansonsten müssten sie sich ja als nächstes Gedanken darüber machen, ob sie es für richtig halten, wieviel Geld für Autobahnen ausgegeben werden;

    (Ein zahlenmäßiger Vergleich mit der bisher höchsten Kalkulation für Stuttgart 21 würde mich übrigens mal SEEEHHHR interessieren.);

    oder wie die öffentlichen Bibliotheken finanziert werden sollen;

    oder, oder, oder....

     

    Och nöööö.

    So war das aber nun auch wieder nicht gemeint.

    In unserer kargen Freizeit wollen wir in Ruhe zum Kaffeetrinken zu den Schwiegereltern.

     

    Und wenn Stuttgart 21 dann irgendwann kommt, was ja eh schon lange feststeht, dann ist das natürlich wieder der ideale Vorwand, äh *hust, GRUND, guter Grund natürlich, politikverdrossen zu sein.

    Man kann ja eh nix ausrichten, hat man doch gerade wieder gesehen.

  • O
    otto

    "Ob der Grund ihres Protests ein Baum oder ein Bahnhof ist, ist dabei unerheblich"

    Endlich mal eine klare ehrliche Aussage in der Taz!

    Da wird wohl jeder der die Proteste kritisch betrachtet zustimmen können. Um Bahnhöfe, Bäume, Hochspannungsmasten oder Hühnerställe geht’s nicht.

    Es sind die Auswirkungen eins bis zum Eichstrich gesättigten Volkes das jede Veränderung fürchtet.