Kommentar Studie zu NS-Diplomaten: Moral post mortem
Es ist etwas merkwürdig, dass man sich erst in dem Moment, in dem die Tätergeneration verschwunden ist, entsetzt zeigt und fassungslos feststellt, was alles schon bekannt war.
D ie Bundesrepublik, so hört man oft, hat die NS-Geschichte ordentlich bewältigt. Es hat zwar etwas gedauert, weil man in den 50er Jahren mit Wiederaufbau beschäftigt war, aber mit den 68ern kam Schwung in die Gedenkbranche. Manchmal bestaunen kluge ausländische Beobachter, wie beispiellos intensiv Deutschland der eigenen Verbrechen gedenkt. In der zweiten Generation nimmt man solches Lob mit der angemessenen Mischung aus Scham und ein bisschen Stolz zur Kenntnis.
Für diese Art Selbstzufriedenheit gibt es keinen Grund. Die Studie über das Auswärtige Amt verdeutlicht noch mal, was längst bekannt ist. Die Eliten in Justiz und Wirtschaft, in den Ministerien und Beamtenapparaten waren vor und nach 1945 nahezu die gleichen. Und allzu oft verhinderten sie nach 1945 erfolgreich, dass publik wurde, welche Rolle sie im NS-System gespielt hatten. Das war Teil der Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik. Man brauchte effektive Eliten, die tun sollten, was sie konnten: funktionieren. Antifaschismus war etwas fürs Ausland und Sonntagsreden.
Es ist richtig, auch 2010 die Studie über das Auswärtige Amt zu veröffentlichen. Und richtig ist auch, wenn Westerwelle "Das Amt" zur Pflichtlektüre für die Diplomaten macht. Das mag eine seiner bedeutenderen Taten sein. Aber: Dies ist ein Streit um Nachrufe. Die Globkes und Filbingers sind tot.
Es ist etwas merkwürdig, dass man sich in dem Moment, in dem die Tätergeneration verschwunden ist, entsetzt zeigt und fassungslos feststellt, was alles schon bekannt war, aber in den letzten Jahrzehnten niemand so recht interessiert hatte. Was da sichtbar wird, ist eine Moral post mortem. Sie passt zu der bundesdeutschen Vergangenheitsbewältigung, in der es große Symbole, schillernde Debatten, wichtige Reden gab - und Wegschauen, wo es um konkrete Karrieren ging.
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