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Kommentar Streubomben in LibyenVerbrechen und Völkerrecht

Andreas Zumach
Kommentar von Andreas Zumach

Die Empörung des Westens über die libyschen Streubomben ist nicht glaubwürdig. Denn sie sind nicht "weltweit geächtet", da nur 56 Staaten ein Verbot ratifiziert haben.

F ür den Einsatz von Streumunition durch libysche Regierungstruppen gegen Aufständische und Wohngebiete in Misurata liegen erdrückende Beweise vor. Streumunition gehört zu den weltweit "erfolgreichsten" Tötungs- und Verstümmelungswaffen. Bei ihrem Einsatz lassen sich militärische und zivile Ziele nicht unterscheiden.

Die Munition ist besonders heimtückisch, weil ein Großteil nach ihrem Abschuss unexplodiert auf dem Boden liegen bleibt und noch Jahrzehnte nach Ende eines Krieges Zivilisten gefährdet. Deshalb ist der Einsatz von Streumunition durch Gaddafis Truppen als Verbrechen gegen die Menschheit zu verurteilen.

Die Empörung in Washington und anderen westlichen Hauptstädten ist allerdings nicht sehr glaubwürdig. Denn entgegen anderslautenden Agenturmeldungen ist Streumunition bislang leider keineswegs "weltweit geächtet" und ihr Einsatz durch Libyen nicht völkerrechtswidrig. Unter der Konvention zum Verbot von Streumunition stehen bislang die Unterschriften von nur 108 der 193 UNO-Staaten. Davon haben erst 56 Länder das Verbot auch ratifiziert.

kristin flory

ANDREAS ZUMACH ist Korrespondent der taz und berichtet aus Genf.

Neben Libyen beteiligten sich auch die drei größten Streumunitionsproduzenten USA, Russland, China sowie Israel, Indien und Pakistan erst gar nicht an den Verbotsverhandlungen. Denn sie halten Streumunition nach wie vor für "militärisch unverzichtbar". Israel und Russland haben Streumunition in jüngster Zeit in den Kriegen gegen Libanon, Gaza beziehungsweise Georgien auch eingesetzt.

Logik der "militärischen Unverzichtbarkeit"

Der Abschuss von Streumunition gegen Ziele in Misurata illustriert die "militärische Unverzichtbarkeit". Er soll Aufständische und Zivilbevölkerung aus der strategisch bedeutsamen Küstenstadt vertreiben, um ihre Rückeroberung durch die Regierungsstreitkräfte zu ermöglichen, rechtzeitig vor einem etwaigen Einsatz von Nato-Bodentruppen. Wenn Gaddafi Misurata wieder kontrolliert, kann er einen Vormarsch der Aufständischen auf Tripolis verhindern und hat bessere Karten mit Blick auf eine eventuelle West-Ost-Teilung Libyens.

In derselben zynischen Logik der "militärischen Unverzichtbarkeit" läge es, sollte die Nato im weiteren Verlauf des Krieges Streumunition einsetzen. Sie könnte dies unter Nutzung der Ausnahmeregelungen, die die USA, Deutschland und andere Bündnispartner in der Verbotskonvention durchsetzten: danach dürfte der Nichtvertragsstaat USA im Rahmen der gemeinsamen Nato-Operation gegen Libyen Streumunition einsetzen - mit Unterstützung Deutschlands und anderer Vertragsstaaten. Darunter auch Streumunition, die in US-Militärbasen in Deutschland oder anderen Vertragsstaaten lagert.

Und die Bundeswehr? Sollte sie doch zum Einsatz im Libyenkrieg kommen, könnte sie ebenso wie die Streitkräfte anderer Vertragsstaaten die vom Nürnberger Rüstungskonzern Diehl entwickelte Streumunition Smart 155 gegen libysche Ziele abschießen. Denn die Regierung Merkel setzte für die Smart 155 eine Ausnahmeregelung in der Verbotskonvention durch, weil sie wegen ihrer technischen Spezifikationen angeblich ungefährlich für Zivilisten ist.

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Andreas Zumach
Autor
Journalist und Buchautor, Experte für internationale Beziehungen und Konflikte. Von 1988-2020 UNO- und Schweizkorrespondent der taz mit Sitz in Genf und freier Korrespondent für andere Printmedien, Rundfunk-und Fernsehanstalten in Deutschland, Schweiz,Österreich, USA und Großbritannien; zudem tätig als Vortragsreferent, Diskutant und Moderator zu zahlreichen Themen der internationalen Politik, insbesondere:UNO, Menschenrechte, Rüstung und Abrüstung, Kriege, Nahost, Ressourcenkonflikte (Energie, Wasser, Nahrung), Afghanistan... BÜCHER: Reform oder Blockade-welche Zukunft hat die UNO? (2021); Globales Chaos-Machtlose UNO-ist die Weltorganisation überflüssig geworden? (2015), Die kommenden Kriege (2005), Irak-Chronik eines gewollten Krieges (2003); Vereinte Nationen (1995) AUSZEICHNUNGEN: 2009: Göttinger Friedenspreis 2004:Kant-Weltbürgerpreis, Freiburg 1997:Goldpreis "Excellenz im Journalismus" des Verbandes der UNO-KorrespondentInnen in New York (UNCA) für DLF-Radiofeature "UNO: Reform oder Kollaps" geb. 1954 in Köln, nach zweijährigem Zivildienst in den USA 1975-1979 Studium der Sozialarbeit, Volkswirtschaft und Journalismus in Köln; 1979-81 Redakteur bei der 1978 parallel zur taz gegründeten Westberliner Zeitung "Die Neue"; 1981-87 Referent bei der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, verantwortlich für die Organisation der Bonner Friedensdemonstrationen 1981 ff.; Sprecher des Bonner Koordinationsausschuss der bundesweiten Friedensbewegung.
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8 Kommentare

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  • H
    hto

    @Alf Mors

     

    "Welch monströse Realitätsverdrehung ist darüber hinaus noch möglich, ..."

     

    Die Realität des "freiheitlichen" Wettbewerb ist MULTISCHIZOPHREN, mit Garantie im geistigen Stillstand funktionalisiert durch gutbürgerlich-gebildete Suppenkaspermentalität auf systemrationaler Sündenbocksuche (Staat & Kirche) - wo die Überproduktion an Kommunikationsmüll den Verstand für wahrhaftige Vernunft KONFUSIONIERT und ..., da ist doch auch wieder nur der TOTALE Krieg das Ziel / der Sinn!?

  • V
    vic

    Der Militarist Gaddafi ist nicht mehr Verbrecher an der Menschlichkeit, als andere Militaristen auch.

  • AM
    Alf Mors

    Das Gejammer über die "bösen Bomben" entspringt einer geistesgestört kranken Vorstellung, es gäbe tatsächlich so etwas wie einen "sauberen Krieg"!

     

    Die Realität ist jedoch ganz klar: Wenn irgendeine (noch so abartig perverse) menschenverachtende Schweinerei einen Kriegsvorteil verspricht, dann wird sie auch eingesetzt. Das gilt für alles was in einem Krieg gemacht werden KANN. Die Grenzen ist hier also nicht die Moral oder gar Ethik, sondern schlicht die blanke Möglichkeit!

     

    In demokratischen Staaten muss man entweder erfolgreicher lügen oder man verzichtet auf bestimmte Technologien, die gerade nicht medienkompatibel sind. Dass man beispielsweise abgereichertes Uran hervorragend im Gefechtseinsatz als panzerbrechende Waffe verwendet und damit noch Jahrzehnte nach dem Krieg Genschäden verursacht, ist nur eine Spielart der Kriegslyrik westlich verblendeter Weltverbesserungs-Idioten.

     

    Krieg zum Schutz der Zivilbevölkerung: Wenn es nicht so bitter ernst wäre, könnte man nur schallend lachen! Welch monströse Realitätsverdrehung ist darüber hinaus noch möglich, bevor jemand den wahnsinnigen Militaristen endlich ihr verderbliches Spielzeug weg nimmt?

  • K
    Karl

    "Streubomben"? >Hysterie von Realitätsverweigerern!

     

    Bomben waren schonmal garnicht beiteiligt; das sollte aufgrund der flugverbotszone jde Schülerzeitung ermessen können.

     

    Was ist nun angebilch vorgefallen?

     

    Jemand, es ist nicht zu klären welche Partei, hat ein paar Mörsergranaten mit Clustermunition abgefeuert Militärischer Wert 0!

     

    Area denial Wert auch gegen 0! und warum?

     

    Die angelich verwendete spanische Munition benutzt für die Bomblettzünder einen kapauitataiv arbeitenden Zünder der entweder beim Aufschlag oder der darauf folgenden allmählichen Entladung na ca. 30-40 sec anspricht. Versagt dieser Ablauf, so wird durch die folgende Totalentladung des Kondensators das Bomblett unscharf.

    Eine Wiederaufnahmesicherung haben diese Dinger zudem nicht!

     

    Also wo ist die "zusätzliche" Gefährdung, angesichts der Splittermasse welche aus einer normalen Vollkalibergranate in 120mm freigesetzt wird?

     

    Nix als Hysterie uns Wahrnehmungsstörungen!

     

    Glück auf!

     

    Karl

  • E
    EuroTanic

    ie NATO und ihre Verbündeten haben in früheren Kriegen massenhaft Streubomben und Streugranaten eingesetzt. So wurden im Jugoslawien-Krieg (1999) nach offiziellen Angaben 1392 Streubomben über 333 Zielen abgeworfen. Sie enthielten insgesamt rund 290000 Stück sogenannte Submunition. Jedes von diesen zerlegt sich wiederum in etwa 2000 Splitter, die besonders grausame Wunden verursachen. Gegen Afghanistan setzten die USA allein in den ersten Kriegsmonaten mindestens 1210 Streubomben mit 250000 Stück Submunition ein. Für den Irak-Krieg (2003) sind genaue Zahlen nicht bekannt. Mehrere tausend Stück Submunition liegen dort heute noch als Blindgänger herum. Israel warf im Libanon-Krieg (2006) riesige Mengen Streubomben auf mindestens 378 Ziele – nach unvollständigen Erkenntnissen einer UN-Abteilung – ab. Bis zu einer Million nicht explodierte Stücken Submunition gefährden die Bevölkerung Südlibanons. Allein im ersten Halbjahr nach Kriegsende wurden 162 Menschen durch solche Blindgänger verletzt, 26 starben.

  • F
    Findus

    Im Widerspruch zu Ihrer Behauptung liegen keine "erdrückenden Beweise" für den Einsatz von Streumunition durch libysche Regierungstruppen vor.

    Liefern Sie solche Beweise - d.h. eine Bestätigung durch unabhängige UN-Beobachter, nach Anhörung aller Bürgerkriegsparteien.

    Es ist naheliegend dass die Rebellen selbst für ihre verbündeten Zeitungsreporter die Artefakte von Streumunition "gestreut" haben.

    Schliesslich ist den Rebellen das gesamte Armeearsenal in Ost-Libyen in die Hände gefallen.

    Die libysche Regierung hat den Einsatz von Streumunition vehement bestritten. Warum soll die Regierung weniger glaubwürdig sein als die Rebellen.

    Wie Sie weiter richtig andeuten, ist eher anzunehmen, dass die Nato selber gern als "Retaliation" Streumunition gegen Libysche Soldaten einsetzen möchte.

    Der Nato gehen laut heutigen Berichten angeblich die Präzisionsbomben aus. Das ist jedoch unglaubwürdig. Eher hat sich laut Berichten erwiesen, dass es für die Laser-gesteuerten Bomben nicht genug Ziele in Form schwerer Waffen im Kampfgebieht mehr gibt, denn die Regierung setzt Milizen mit Guerilla-Kampfmethoden in ungepanzerten Zivilfahrzeugen ein.

    Es wäre militärtechnisch effektiv, wenn die Nato bzw. deren Rebellen-Verbündete Streumunition gegen regierungstreue Milizen einsetzen.

    Wir müssen doch endlich aus der Geschichte der Lügen zur Kriegspropaganda gelernt haben.

  • DW
    Dumm wie Brot

    Die USA und ihre NATO haben in meiner Wahrnehmung immer dann ein besonders gewisses Glaubwürdigkeitsproblem, wenn sie bestimmte humane Standards bei der Kriegsführung einfordern. Soweit ich weiß verzichten die USA selber auf keine Grausamkeit, sondern entwickeln jedes Jahr neue Formen der Inhumanität, auch bei Folter will man die Leistungsskala dominieren. Streubomben mit uranhaltiger Munition sind ihre Spezialität gewesen, der Boden im Irak und in Afghanistan ist noch auf Jahrzehnte verseucht. Das Humanum im Kern bedroht auch die neuartige Art der Lenkwaffen, die sogenannten Drohne, hier wird die Menschlichkeit der Täter sowohl wie der Opfer stark beschädigt, der Täter drückt irgendwo, während er vielleicht einen Hamburger zermanscht auf einen Knopf, das Opfer wird ohne Vorwarnung mitten in seinem Alltag fern von jedem Gefecht zerfetzt, wobei nicht selten auch Verwechselungen zu beklagen sind, so dass häufig genug harmlose Hochzeitsgesellschaften von einer unbemannten Drohne ohne jedes Gewissen und ohne jede Wahrnehmung vom menschlichen Unterschied in ihre Bauteile zerlegt worden sind, ...

  • JO
    Jürgen Orlok

    Eine kleine aber wichtige Korrektur

    http://en.wikipedia.org/wiki/MAT-120

    Nach 15 min ist diese Munition neutral, keine Langzeitgefahr !

     

    Damit entfällt auch

    "Die Munition ist besonders heimtückisch, weil ein Großteil nach ihrem Abschuss unexplodiert auf dem Boden liegen bleibt und noch Jahrzehnte nach Ende eines Krieges Zivilisten gefährdet. Deshalb ist der Einsatz von Streumunition durch Gaddafis Truppen als Verbrechen gegen die Menschheit zu verurteilen. "

    Es bleibt nach Logik des Verfasser

    KEIN VEBRECHEN GEGEN DIE MENSCHLICHKEIT.