Kommentar Sterbehilfe: Selbstbestimmt und würdig
Das BGH-Urteil hat Unsicherheiten beseitigt. Ärzte und Heime können sich jetzt nicht mehr über den Willen der Patienten hinwegsetzen.
E s gibt ein Recht auf Leben. Aber es gibt auch ein Recht auf menschenwürdiges Sterben. Für viele Menschen gehört dazu, dass sie etwa im Falle eines Wachkomas nicht jahrelang vor sich hin vegetieren wollen. Sie wollen nicht von der Medizintechnik am Leben gehalten oder, besser gesagt, am Sterben gehindert werden.
Der Bundesgerichtshof hat dieses Recht auf ein menschenwürdiges Sterben nun gestärkt. Unmissverständlich hat das Gericht klargestellt, dass ein Pflegeheim das Abschalten der medizinischen Apparate dulden muss, wenn eine entsprechende schriftliche oder mündliche Patientenverfügung vorliegt. Wenn das Heim sich darüber - ob aus kommerziellen, ethischen oder religiösen - Gründen hinwegsetzt, ist es im Unrecht. Notfalls dürfen die Angehörigen zur Selbsthilfe greifen und sogar die Schläuche mit der Schere durchtrennen, so der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs.
Das Urteil aus Karlsruhe kommt eigentlich nicht überraschend. Es liegt ganz auf der Linie früherer Entscheidungen des Gerichtshofes. Weil aber die Gerichte (und auch die Senate des Bundesgerichtshofs) nicht an einem Strang zogen, war es zu Unsicherheiten gekommen. Diese sind nun beseitigt worden. Das neue Urteil schafft damit also kein neues Recht, sondern es fasst nur die bestehende Rechtslage gut zusammen.
Christian Rath ist rechtspolitischer Korrespondent der taz.
Diese jetzt hergestellte Rechtsklarheit ist zu begrüßen. Nicht nur weil sie die Selbstbestimmung am Lebensende stärkt, sondern auch weil sie unwürdige Szenen wie den heimlichen Scherenschnitt hoffentlich überflüssig macht.
Die Zeiten, in denen sich Ärztinnen und Ärzte sowie Heime oder Pflegeanstalten unter Verweis auf unklare Regeln über den Willen der Patienten hinwegsetzen konnten, sind jetzt endgültig vorbei.
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