Kommentar Steinbach auf Twitter: Ein Dank an Erika Steinbach
Erika Steinbach offenbart auf Twitter ihre Links-Rechts-Schwäche. Ein Windchen der Entrüstung bricht los und zeigt den Wert einer Kurznachricht für die politische Bildung.
S eit bald 15 Jahren lebe ich ohne Fernseher und Radio. Ende der 90er Jahre begann das Internet zu einem Ort zu werden, der beide Medien an Informationsdichte und -vielfalt bei Weitem übertreffen sollte.
Der Unterhaltungswert vieler Angebote im Netz kann es ebenfalls locker mit Vorabendserien und Spielshows aufnehmen. Während andere sich bei Gottschalk amüsieren oder bei Anne Will ärgern, schaue ich mir obskure Kunstfilmchen aus den 70ern an, scrolle mich durch Blogs für Herrenbekleidung, erfreue mich an Katzenbildern oder folge interessanten Konversationen in Blogs und auf Twitter.
Seit diverse PolitikerInnen ihre Accounts dort eingerichtet haben, ist auf Twitter bald jeden Abend so etwas Ähnliches wie Anne Will zugange. Leute, die ich nicht unbeaufsichtigt allein mit meinem Portemonnaie oder der Weisungsbefugnis über den Verfassungsschutz lassen würde, zeigen sich auf Gegenseitigkeit beruhenden, mangelnden Respekt.
Das kann durchaus anregend sein. Das Abendprogramm des 1. Februar 2012 beispielsweise bot einer der letzten genuinen Kreuzritterinnen, Erika Steinbach (Präsidentin des Bundes der Vertriebenen und CDU-Abgeordnete im Bundestag), die Gelegenheit, ihrem keineswegs nur wohlwollenden Publikum einen ordentlichen Brocken Kalter-Kriegs-Rhetorik hinzuschmeißen. "Die NAZIS waren eine linke Partei. Vergessen? NationalSOZIALISTISCHE deutsche ARBEITERPARTEI....."
Hat die CDU etwa ihre Parteilinie geändert? Bislang waren Nazis und Linke zwar das gleiche, nämlich beides Extremisten, sich aber eben doch in unterschiedliche Richtungen von der bürgerlichen Mitte wegbewegende. Solche Gedanken treiben den unbeteiligten Zuschauer um, und wenn er will, kann er Steinbachs Bonmot favorisieren, retweeten oder ihr Zuspruch, Ablehnung oder Beleidigungen zukommen lassen.
Das ist hundertmal besser als der Fernseher. Das ist kommunikativ, das ist interaktiv, das fördert politische Bildung und Teilhabe. Das ist mit einer Handvoll Followern auch viel intimer als diese ganzen unpersönlichen Massenmedien, wo Millionen Menschen nur frontal berieselt werden.
Für ihren wunderbaren Impuls für die politische Diskussion an jenem Abend gebührt Erika Steinbach also Dank und Anerkennung. Den Sendeverantwortlichen in Funk und Fernsehen hingegen ist dafür zu danken, dass sie die kampfeslustige Berufsvertriebene nicht mehr so oft in Talkshows einladen und sie so für diese große Aufgabe freigestellt haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Außenministertreffen in Brüssel
„Europa spricht nicht die Sprache der Macht“