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Kommentar Spenden-Akquise im Auftrag von NGOsAufdringlich und kontraproduktiv

Simone Schnase
Kommentar von Simone Schnase

Aggressives Promoting im Auftrag von NGOs wie Unicef oder Amnesty erreicht niemals jene, die sich ernsthaft und langfristig engagieren wollen.

Oder doch nur für die Provision? Foto: Simone Schnase

S ie stellen sich PassantInnen in den Weg, duzen Fremde, egal welchen Alters und rufen: „Du, ja, genau du! Auf dich habe ich gewartet!“ Die Rede ist hier von PromoterInnen für NGOs – nicht von sogenannten „aggressiven Bettlern“.

Über die nämlich wird sich gern aufgeregt, auch medial: Im September 2016 berichteten Radio Bremen und die Kreiszeitung, im Oktober der Weser-Kurier, im März 2017 der Weser-Report. Überall der gleiche Tenor: Aufdringliches Betteln sei eine Belästigung und nehme zu.

Dabei ist das verboten: Im Interview mit „buten und binnen“ sagte ein Polizeisprecher, dass es eine Ordnungswidrigkeit sei, Menschen auf der Straße zu bedrängen und sich ihnen beispielsweise in den Weg zu stellen. Für „aggressives Betteln“ können Platzverweise erteilt und sogar Bußgelder erhoben werden.

Und was ist mit aggressiver Promotion? Exakt das ist es nämlich, was die jungen Leute, größtenteils StudentInnen, im Auftrag von Fundraising-Agenturen wie Dialog-Direct an der Obernstraße, am Ziegenmarkt und vielen anderen Bremer Orten tun. Ihr Job ist es, UnterstützerInnen zu gewinnen für Organisationen wie Amnesty International, Unicef oder den WWF. Und das tun sie mit jenen Mitteln, für die bettelnde Menschen Platzverweise kassieren.

Wer sich ernsthaft für die Inhalte der Arbeit von NGOs interessiert, ist bei den PromoterInnen am falschen Platz, denn die wollen Unterschriften und weichen in Erwartung von Provisionen den Angesprochenen keine Sekunde von der Seite – die InteressentInnen haben keine Chance, sich unbeeinflusst und in Ruhe zu informieren. Auf diese Weise gewinnen die Organisationen zwar kurzfristig viele überrumpelte „UnterstützerInnen“, aber sicher niemanden, der sich ernsthaft, aktiv und auch langfristig engagieren will.

So verständlich es ist, dass NGOs das aufwendige Geschäft der Spenden-Akquise auslagern, so unverständlich ist es, mit welchen Methoden hier gearbeitet wird. Wenn „aggressives Betteln“ geahndet wird, sollte Gleiches auch für aggressives Promoten gelten.

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Simone Schnase
Jahrgang 1971, war von 2012 bis 2021 Redakteurin und CvD für taz bremen und taz nord. Hat davor erst in Osnabrück und dann im Emsland fürs Radio gesprochen und gebloggt sowie für die Magazine „Stadtblatt“ und „Emskopp“ geschrieben. Erhielt 2012 den zweiten Alternativen Medienpreis für den Emskopp-Beitrag „Die Emslandlager und ihre Folgen – eine Geschichte von 1933 bis in die Gegenwart“
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8 Kommentare

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  • Das aggressive Promoting demonstriert doch sehr anschaulich, dass ein Spendenablass an irgendeine NGO das nervige Grundproblem Kapitalismus nicht löst, nicht lösen kann. Die Ablehnung des Kapitalverhältnisses, der Marktwirtschaft, promotet dagegen nur - bestenfalls - das eigene Herz und Hirn.

  • Hallo liebe Frau Schnase,

     

    als langjähriger Fundraiser würde ich gerne zu ihrem Artikel Stellung beziehen. Generell bekommt man in der Fußgängerzone ein positives Feedback von vielen Passanten zu dem Job den man auf der Straße macht. Zumeist sind es tatsächlich Journalisten die eine Enthüllungsgeschichte wittern, obwohl es offenkundig und mittlerweile normal ist, eine Agentur zu beauftragen, die das nötige Know-How hat um die Mitarbeiter vernünftig zu schulen und zu begleiten. Das ist tatsächlich gängige Praxis und nennt sich Face2Face Marketing. Ein Qualitätsstandard ist hierbei, dass sich den Passanten nicht ohne Ausweichmöglichkeit in den Weg gestellt wird. Der Bezug auf das "aggressive Betteln" und der Kommentar vom Polizeisprecher halte ich für sehr hetzerisch und reißerisch. So wird hier ein Kommentar ziemlich aus dem Zusammenhang genommen um ihren Standpunkt widerzuspiegeln. Die Arbeit die ein Promoter für eine Hilfsorganisation leistet hat einen enormen Impact und hilft den Organisationen an das Geld zu kommen, welches so wichtig für ihre Arbeit ist. Ein großes Maß an Identifikation ist dafür vorausgesetzt. Die Stadt ist voller Produkte und Werbeplatzierungen, die uns beeinflussen eine Coca Cola zu kaufen, zu rauchen, Klamotten zu kaufen die in Bangladesh produziert werden usw...Warum wird sich damit beschäftigt dass jemand Geld verdient etwas Gutes zu tun? Ich weiß nicht, was Ihnen vorgefallen ist auf der Straße und ob tatsächlich ein Fundraiser nicht freundlich reagiert hat. Journalistischer Anspruch sollte sein, dass ein Thema aus mehreren Blickpunkten und differenzierter betrachtet werden sollte.

    Zu dem Kommentar von Rike, wenn eine Person keinen Förderer am Tag schreibt, bekommt sie trotzdem einen normalen Stundenlohn. Außerdem wird der Arbeitsvertrag sogar mitgegeben und zugeschickt und kann auf der Homepage sogar Wochen zuvor ausgedruckt werden.

     

    Liebe Grüße

    • @Markelic1234:

      „Die Stadt ist voller Produkte und Werbeplatzierungen, die uns beeinflussen eine Coca Cola zu kaufen, zu rauchen, Klamotten zu kaufen die in Bangladesh produziert werden usw...“

       

      Und weil also die ganze Stadt mit Werbung zugekleistert ist, ist es dann nur konsequent/gut, wenn tlw. durchaus noble NGOs die Menschen aktiv mit F2F Marketing aus den letzten Ecken der Ruhe - dem stumpfsinnigen durch die Stadt Schreiten von A nach B - herausreißen und am besten mit irgendwelchen haltlosen Vorwürfen (bspw. dass man nichts/zu wenig für die Umwelt tue) konfrontieren?

    • @Markelic1234:

      Leider ist an diesem Artikel gar nichts reißerisch. Ich habe es genauso wie beschrieben mehrfach selbst erlebt und ich bin kein Journalist.

      Statt abzuwiegen sollten die angesprochenen Organisationen sich diese Kritik zu Herzen nehmen und für dieses face to face marketing Regeln aufstellen.

  • Das Problem liegt aber auch bei Firmen wie eben Dialog direkt. Sie verlangen von den PromoterInnen, bestimmte Quoten zu erfüllen, und eine festgelegte Menge an Menschen in ein Gespräch zu verwickeln, sonst werde kein Lohn bezahlt oder der Tag, gerade kn der Probezeit, nicht als Arbeitstag angerechnet. Das habe ich in meiner Probezeit dort so erlebt, auch, dass ich kaum Zeit hatte, mir zu überlegen, ob ich den Arbeitsvertrag unterschreiben möchte, hat mich dazu bewogen dort nicht weiter zu arbeiten. Ich bin mir sicher, dass dies eine Einzelfallerfahrung ist, jedoch wurden hier die Studierenden mit schlechtem Gewissen schlichtweg ausgebeutet.

    • @Rike:

      Kein Einzelfall!

      Ich habe sowas auch schon gemacht- es werden den Promotern Mantras bis spät abends ins Hirn geboxt, diejenigen die genug "schreiben" am Tag können sich ausruhen, diejenigen die nicht so aggressiv vorgehen werden vorgeführt und müssen bis spät abends üben. Die Teamleiter verstecken sich in Kaufhäusern und hinter Wurstbuden und beobachten alles, bis sie wie ein Rumpelstilzchen aus ihrem Versteck kommen um dich mal "wachzuruetteln".

       

      Also bitte den Finger nicht nur auf Promoter zeigen - das sind meistens StudentInnen und SchuelerInnen, die ihr BAföG aufbessern. Die " Dialog"firmen und NGOs sind auf den Plan zu rufen, die diese Firmen beauftragen.

       

      P.S.:

      Ich habe nach wenigen Tagen gekündigt, obwohl es bei mir gut lief. Mir kam das Kotzen. Habe sie auch bei Verdi angefickt.

  • 3G
    39167 (Profil gelöscht)

    Das kann ich nur unterschreiben!

    • @39167 (Profil gelöscht):

      Und wieder ein erfolgreicher Abschluss ;-)