Kommentar Sigmar Gabriel: Regieren um jeden Preis
Ist diese Partei wirklich auf das eingestellt, was in Kriseneuropa auf sie zukommen kann? Nein. Auch wenn Gabriel das Gegenteil mit viel Verve vermitteln will.
M inutenlang standen die Delegierten, Sigmar Gabriel hatte den Parteitag für sich gewonnen. Wer den SPD-Chef im Schatten des Medienhypes um Peer Steinbrück zukünftig als reinen Verwalter von Parteiangelegenheiten gesehen hatte, den hat er eines Besseren belehrt. Es sprach ein Vorsitzender, der seinen Machtanspruch in der Partei klargemacht hat. Und dem die Partei dafür mit einem guten Wahlergebnis dankt.
Gabriels Machtanspruch geht über die Partei hinaus. Wie bei seinem Amtsantritt vor zwei Jahren zielte seine Rede auf die Mitte. Aber während er damals vor allem seine Partei mit diesem Begriff versöhnen wollte, ging es jetzt um die Wähler der aktuellen Bundesregierung - das zeigte sein Bekenntnis zum Liberalismus.
Weil der Vorsitzende auch den SPD-Linken eine paar Wünsche erfüllte, ist Gabriels Programm nicht mehr als links oder rechts lesbar. Das ist durchaus so gewollt. Denn zwei Jahre nach der verheerenden Bundestagswahl-Niederlage wollen die Sozialdemokraten wieder regieren. Da ist Opportunismus das Gebot der Stunde.
ist Parlamentskorrespondent der taz.
Sollte der Machtwechsel tatsächlich 2013 gelingen, könnte die SPD vor einer tragischen Situation stehen: Die Partei würde in einer heute schon absehbaren Wirtschaftskrise das Land regieren. Trotz aller gegenteiligen Bekundungen: Die SPD, gerade unter einem Kanzler Steinbrück, würde wieder harte Einschnitte im Sozialbereich verantworten müssen - und gegen viele Vorhaben verstoßen, die auf diesem Parteitag unter donnerndem Applaus verabschiedet wurden.
Ist diese Partei wirklich auf das eingestellt, was in Kriseneuropa auf sie zukommen kann? Nein. Auch wenn Gabriel das Gegenteil vermitteln will: In sich stabilisiert hat sich die SPD bis jetzt nur als Oppositionspartei. Die Einschnitte, die im Fall der Regierungsverantwortung unweigerlich anstehen, würde die Parteibasis wenige Jahre nach der Agenda 2010 nicht verzeihen. Und das wird auch in zwei Jahren noch so sein.
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