Kommentar Sicherungsverwahrung: Strafe nach der Strafe
Der Staat trennt nicht scharf genug zwischen denen, die freigelassen werden können und den wenigen, die nicht freigelassen werden sollten.
D er Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat am Donnerstag erklärt, die rückwirkend verlängerte Sicherungsverwahrung in Deutschland verstoße gegen den Rechtsgrundsatz "keine Strafe ohne Gesetz". Im – seltenen – Einzelfall bedeutet das: Auch wenn ein Gewalttäter noch als gefährlich gilt, muss er freigelassen werden.
Die Sicherungsverwahrung ist demnach als Strafe nach der Strafe zu sehen. Mag die Begründung – nicht Buße, sondern Schutz der Gesellschaft – eine andere sein: Die Sicherungsverwahrung entspricht einer Haft. Das aber kann sich ein Rechtsstaat nicht leisten. Es gibt Menschen, die auch mit großer Mühe nicht von der Gewalt abzubringen sind. Der Staat muss ein Mittel haben, sie unter Kontrolle zu halten, sie davon abzuhalten, anderen zu schaden. Er muss aber gleichzeitig alles tun, auch Gewalttätern ein Fenster zur Freiheit offen zu halten.
Das geschieht derzeit jedoch nicht. Der Staat übernimmt nicht genügend Verantwortung für die schärfstmögliche Trennung zwischen denen, die freigelassen werden können, und den wenigen, die nicht freigelassen werden sollten. Weder werden die Möglichkeiten ausgeschöpft, Verbrecher in der Haft auf ein Leben in Freiheit vorzubereiten, noch wird die Sicherungsverwahrung so ausgestaltet, dass der Unterschied zur Haft erkennbar ist.
Ulrike Winkelmann ist Parlamentsredakteurin der taz.
Die Psychiater und Psychologen sind deutlich überfordert, gültige Prognosen über die Gefährlichkeit der Täter zu erstellen – es gibt hier zu wenig Expertise. Die Behörden sind unwillig, mehr Aufwand – also Geld – in Verbrecher zu investieren.
Genau deswegen aber wird dem Staat die gegenwärtige Praxis der Sicherungsverwahrung zu Recht um die Ohren geschlagen. Und die Gesellschaft wird möglicherweise mit einem gefährlichen Verbrecher in ihrer Mitte leben müssen.
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