Kommentar Seehofer: Trennung zwischen "uns" und "denen"
Auf dem Altar von Wahlprognosen und vor der Angst vor einer populistischen Partei droht ein Fundament unserer Gesellschaft geopfert zu werden: die Verschiedenheit.
K ultur ist eine prima Sache. Dank ihrer kann man im Kino einem Film anschauen, ins Theater oder in die Oper gehen, ein Rockkonzert besuchen, dicke Bücher lesen oder eine Performance zelebrieren. Oder einen Kulturbeutel packen.
Horst Seehofer ist nun eine bedeutende Erweiterung des Kulturbegriffs zu verdanken: Man kann, folgt man dem CSU-Vorsitzenden, mit dem Verweis auf Kultur ausgrenzen, Zusammenleben zerstören und der eigenen Klientel vermeintliche Sicherheit bieten. Denn, sagt Seehofer, "Zuwanderer aus anderen Kulturkreisen" können wir in Deutschland nicht brauchen. Diese Aussage ist die traurige letzte Wendung einer sich rasend beschleunigenden Debatte, die schon einige Zeit vor Thilo Sarrazins Bestseller begonnen hat und deren nächste Wendungen wir mit Grausen erwarten dürfen.
Im Kern geht es darum, einen immer schärferen Trennungsstrich herzustellen zwischen "uns" und "denen". Wir, das ist das "Abendland" mit "christlich-jüdischen Wurzeln", eine Gesellschaft, die stolz auf das Erreichte sein darf. "Die", das repräsentieren die muslimischen "Zuwanderer", die wahlweise unnütz sind und die Sozialkassen belasten, auf "unsere" Kinder einschlagen oder terroristischen Bestrebungen anhängen. Und weil es - unbestritten - in Deutschland lebende Muslime gibt, denen solche Vorstellungen in der Tat nicht vollständig fremd sind, ist so sprechenden Politikern ein gewisser Beifall aus "christlich-jüdischen Kulturkreisen" gewiss.
Klaus Hillenbrand ist Chef vom Dienst in der taz.
Die Debatte aber ist ein Musterbeispiel dafür, wie man gesellschaftliche Trennungen vorantreibt und bestimmte Gruppen bewusst und planmäßig stigmatisiert. Dass es dabei ausgerechnet muslimische Einwanderer trifft, ist kein Zufall, sondern pure Berechnung, weil diese den Bedrohtheitsvorstellungen vieler Deutschen entsprechen.
Auf dem Altar von Wahlprognosen und der Ängste vor dem Entstehen einer populistischen Partei droht dabei ein Fundament unserer Gesellschaft geopfert zu werden: die Verschiedenheit.
Es hat Jahrzehnte gebraucht, bis Deutschland so weit entwickelt war, dass unterschiedliche Lebensentwürfe, sexuelle Orientierungen, ethnische und religiöse Bekenntnisse als Bereicherung und nicht als Bedrohung dieses Landes anerkannt wurden. Es braucht offenbar nur ein paar Monate, um diesen Fortschritt wieder rückgängig zu machen. Den Seehofers, Schröders und Sarrazins sei Undank dafür.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos