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Kommentar Seehofer in TschechienFast schon auf der Höhe der Zeit

Kommentar von Philipp Gessler

Horst Seehofers Besuch in Tschechien ist Ausdruck davon, dass manche Gesten der Versöhnung ihre Zeit brauchen. Er zeigt aber auch, wie viel sich in beiden Ländern geändert hat.

A ls sich Edmund Stoiber vor drei Jahren in seinen letzten Tagen als bayerischer Ministerpräsident von den Sudetendeutschen verabschiedete, hatten nicht wenige der 7.000 Zuhörer im Saal, so wurde berichtet, Tränen in den Augen. Der CSU-Politiker und "Schirmherr" der Vertriebenen aus dem heutigen Tschechien erinnerte in Augsburg daran, dass sein erster öffentlicher Auftritt als Landesvater 14 Jahre zuvor eine Rede auf einem Treffen der Sudetendeutschen Landsmannschaft gewesen war.

Dieses Pathos und diese Nähe waren typisch für alle bayerischen Ministerpräsidenten, die sich seit Gründung der Bundesrepublik in besonderer Weise um die rund drei Millionen Sudetendeutschen gekümmert haben, die nach dem Krieg aus ihrer Heimat verwiesen und enteignet wurden. Nur vor diesem Hintergrund ist die Brisanz des ersten offiziellen Besuchs von Horst Seehofer als bayerischer Ministerpräsident in Prag zu ermessen.

Natürlich hat es etwas Lächerliches, wenn 20 Jahre nach dem Fall der Mauer noch Altlasten des Kalten Krieges aufgeräumt werden müssen. Aber in Bayern gehen die Uhren eben etwas anders - und manche Gesten der Versöhnung brauchen ihre Zeit, so seltsam das Jüngere und Leute von außerhalb anmuten mag.

Der Besuch Seehofers in Prag zeigt aber auch, wie viel sich in beiden Ländern geändert hat: In Tschechien reagiert die Öffentlichkeit ganz offensichtlich nicht mehr so allergisch auf einen Vertriebenenvertreter, der in der Entourage des CSU-Politikers ebenfalls an die Moldau fährt - das wäre noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen.

Es zeigt zudem, dass die CSU die Vertriebenen als Wählerschaft für immer unwichtiger hält. Seehofer meint, es sich leisten zu können, ein paar von ihnen mit seinem Pragbesuch zu verprellen - auch das ist ein gutes Zeichen.

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5 Kommentare

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  • T
    tollschocken

    Die Beneš-Dekrete bildeten die Grundlage dafür, die von Nazis besetzte, zerteilte und aufgelöste Tschechoslowakei neu zu gründen. Es ist quasi die Verfassung, von der von seiten der Vertriebenenverbände die Annulierung gefordert wird. Die Sudetendeutschen waren aktiver Teil der Zerschlagung der 1. tschechoslowakischen Republik, einschließlich der rassistischen Vertreibung und Ermordung viele Tschechen und Juden. Insofern wundert es nicht, dass die Feinde der Demokratie heute immer noch Verfassungen außer Kraft gesetzt sehen wollen. Von den 143 Dekreten betreffen gerade mal fünf die umstrittene Entrechtung von Sudetendeutschen etc. Das Unrecht der wilden Vertreibungen wurde in der deutsch-tschechischen Erklärung von 1997 eindeutig ausgesprochen. Wer damit nicht leben kann, will keine bilateralen und freundschaftlichen Beziehungen.

  • K
    keetenheuve

    Wieso wird von Gessler eigentlich mit keinem Wort das Fortbestehen der Benes-Dekrete erwähnt, auf deren Grundlage die Deutschen aus ihrer Heimat "verwiesen" und enteignet wurden? Wie kann es Versöhnung geben, wenn sowas immer noch unbeanstandet fortbesteht und sogar noch als rechtens betrachtet wird?

  • OL
    Otokar Löbl

    Das die Fenster geöffnet bleiben

    Lasst frische Luft herein! Habt keine Angst! Das, liebe Landsleute, ist ein ganz entscheidendes Wort. Habt keine Angst. Wir wollen die Fenster aufreißen, wir wollen die frische Luft herein lassen, wir wollen einen festen und realistischen Blick in eine bessere Zukunft tun. Dies waren die Schlussworte von Bernd Posselt auf den diesjährigen Sudetendeutschen Tag in Augsburg.

    Dies kling gut, hat aber einen Fehler. Wenn man die Fenster öffnet so kommt zwar frischer Luft herein, aber es kommt auch zu einer Luftzirkulation und die verbrauchte Luft entschwindet hinaus.

    Herr Possel sollte in Prag erklären wie er sich die Wiedergewinnung der Heimat und Entschädigungszahlungen für die „Sudetendeutschen“ vorstellt, die als Pfeiler in der Satzung der Landsmanschaft sind, derer Sprecher er ist.

    Die Sudetendeutschen sind keine Ethnie, aber eine politische- und Schichsaalsgemeinschaft der vertriebenen Deutschen. Der Begriff Sudetendeutsch entstand er Anfangs des 20. Jahrhundert und hat also keine historische Grundlage. Heute verlangt die SL von den Tschechen eine Ausarbeitung der Vergangenheit, dass sie ihre Fehler und Verbrechen zugeben und für diese Taten die Verantwortung übernehmen.

    Wo bleibt aber die eigene Reflexion. In Dux, also in Grenzbebiet der damaligen Tschechoslowakei entstand schon am 16. November 1919, also noch bevor der erfolglose Maler von Ansichtskarten in München seine NSDAP gegründet hat, eine extrem nationalistische und antisemitische Arbeiter Partei (DSNAP). Das sich führende Funktionäre der SdP im Reich beim Hitler für ihre Forderungen nach Autonomie vor den Krieg entschuldigt haben, das diese nur aus taktischen Erwägungen gestellt wurden, da sie sonst als Partei verboten wären. Das sie sich beim Heydrich beschwerten über eine angebliche Bervorzugung der Tschechen im Protektorat in Gegensatz der Pflichten der Sudetendeutschen. Sie wollten radikaler in ihren Volstumkampf gegen die Tschechen vorgehen als die Deutschen aus den Reich und stimmten nicht mit den Heydrichplan der Umvolkung überrein. Sie verlangten eine schnelere Enteignung der Tschechen als Belohnung für ihren Volkstumkampf, der das Münchner Abkommen erst ermöglicht hat. Auch für die kampflose Entstehung des Protektorat Böhmen und Mähren. Nach den Krieg waren in der Führung der SL Menschen die nicht nur Reihenmitglieder der NSDAP waren, sonder Leute die in den Protektorat und in Sudetengau führende Funktionen hatte und fanatische Anhänger des deutschen Nationalsocialismus waren.

    Den ab den Jahre 1938 war das Sudentenland, als Verwaltungsgebiet „Sudetengau“ ein Teil des nationalsocialistischen Hitler Reiches. Die Sudetendeutschen waren den Deutschen im Reicht gleichgestelt mit Rechten und Pflichten. Also waren sie auch verantwortlich für die Verbrechen an den jüdischen und tschechischen Bewölkerung und in anderen besetzen Ländern. Von dieser Verantwortun und Mitschuld der „Sudetendeutschen“ finden sie aber kein Wort im Programm oder Erklärungen aus München.

    Eine Unterstellung der Kolektivschuld einer ganzen Nation ist unzuläsig. Aber es existiert eine kolektive Verantwortung und Scham für das was aus der Nation hervogegangen ist. Dies gilt für die Tschechen, Deutschen und auch für die „Sudetendeutschen“.

    Die Bitte um Vergebung für den Teil der Mitschuld der Sudetendeutschen an den Verbrechen des Nationalsozialismus in Tschechischen Republik aus den Mund des Sprechers der SL und die Kranzniederlegung in Lidice war ein symbolischer Schritt zu einer wirklichen Versöhnung. Nun müssen Taten folgen. Dies wird keine leichte Aufgabe für ihm sein. Aber mit der Hilfe eines straken, zuverläsigen und ehrlichen Partner, in der Person von Horst Seehofer als Ministerpräsidente des Lades Bayern, Herrn Horst Seehofer, der der Schirmherr der Vertriebenen Deutschen aus Böhmen, Mähren und Schlesien, könnte es ihm gelingen das die Fenster für immer geöffnet bleiben.

     

    Es existiert keine Kolektivschuld, aber eine kolektive Verantwortungt und Scham für das was aus einen Volk hervorgegangen ist.

     

    Otokar Löbl

    Vorsitzender des Förderverein Saaz/Žatec

  • C
    chrischan

    Über 60 jahre nach den Vertreibungen, könnten Vertriebene und Angehörigen sofern sie wollen, ohne große hindernisse nach CZ siedeln,

    Es ist ein zustand der meist kinder, die als vertriebene die in der Nazizeit groß geworden sind und nie Tschechisch gelernt haben, betrifft.

     

    Politisch betrachtet ist das ganze lächerlich (wegen EU-Verträgen und gegenseitiger Abhängigkeiten),

     

    als deutscher Staatsbürger in Praha lebend fühl ich mich wohl. Geschichte passiert, hat aber mit mir nicht viel zutun.

  • E
    Endlich

    Guten Kommentar! Vielen Dank hierfür. Es wird Zeit, dass die Ewiggestrigen endlich Ruhe geben und man sich der gemeinsamen Zukunft zuwendet.