Kommentar Schweizer SVP: Aggressive Eidgenossen
Die Heftigkeit der Krawalle überrascht die Schweiz - und Sündenböcke sind schnell gefunden. Doch die wahren Brandstifter sind die aggressiven Wahlkämpfer der SVP.
Die Bundesstadt Bern ist Krawalle gewohnt. Regelmäßig in den letzten Jahren randalierten Autonome. Um politische Inhalte ging es dabei immer weniger, eher um eine Form von Freizeitvergnügen. Aber so viel Wut, so viel Gewaltbereitschaft, wie am Wochenende zum Vorschein kam, ist neu - und umso erschreckender für die Schweizer Öffentlichkeit.
Dass der Schwarze Block ungestört auf dem Bundesplatz - auf dem Vorhof der schweizerischen Konsensdemokratie - alles kurz und klein schlagen konnte, hat starken Symbolgehalt. Die Sündenböcke sind rasch gefunden. Die Polizei habe versagt, im rot-grünen Bern sei das Demonstrieren wohl nur Linken gestattet, klagt Christoph Blocher, Leithammel der Schweizer Volkspartei (SVP), genüsslich an. Die gemäßigte Linke schießt auf einen widerspenstigen, linksradikalen Außenseiter der Berner Stadtpolitik, der die unbewilligte Demonstration gegen die SVP-Veranstaltung organisiert hat. Die Krawalle, heißt es, seien ein Angriff auf die Meinungsfreiheit. Das stimmt natürlich: Auch die SVP hat das Recht, zu demonstrieren.
Doch die Gründe, warum die Proteste so massiv ausfielen, liegen nicht bei unfähigen Polizisten oder unbedeutenden Lokalpolitikern. Sie liegen im politischen Klima, das durch den aggressiven und populistischen SVP-Wahlkampf aufgeheizt wurde. Etwa mit dem widerlichen Plakat, auf dem drei weiße Schafe ein schwarzes Herdenmitglied aus der Schweiz rauskicken. Die SVP hat in der Schweiz einen tiefen Graben aufgerissen. In diesem heilen Schweizerländlein, wie es die rechtskonservative Partei am Samstag mit Fahnen und Kuhglockengeläut zelebrierte, fühlen sich weite Teile der Bevölkerung nicht zu Hause. Zu dieser Herde mögen sie nicht gehören. Die Gegendemonstration war, so gesehen, auch ein Ausdruck des Unbehagens im Kleinstaat, ein Aufstand der schwarzen Schafe.
Mit den Krawallen haben die "Chaoten", wie sie hilflos genannt werden, aber das Gegenteil dessen erreicht, was sie erreichen wollten. Zwei Wochen vor den Parlamentswahlen nützen sie vor allem der SVP. Den Autonomen mag das egal sein. Der Verlierer ist die andere, die offene und moderne Schweiz.
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