Kommentar Schweinegrippe: Arme Sau
Die Schweinegrippe wird zum ernstzunehmenden Problem - für die Schweine. Und schuld ist nur der Name.
K aum waren die ungewöhnlichen Todesfälle in Mexiko bei uns bekannt, benannte man schon den Schuldigen: Die „Schweinegrippe“ war es. Ein einfacher Name war gefunden, obwohl die Krankheit mit den Tieren wenig zu tun hat. In keinem einzigen Schwein hat man den Erreger bisher gefunden. Noch ist unbekannt, woher er wirklich stammt.
ist Praktikantin im Ressort Umwelt und Wirtschaft der taz.
Fest steht nur: Die Krankheit wird von Mensch zu Mensch übertragen. Keine infizierende Sau wurde bisher identifiziert. Hinter dem falschen Namen verbirgt sich ein echtes Problem: Einfache Namen suggerieren einfache Lösungen. Und öffnen damit Tür und Tor zum Missbrauch.
Am skurrilsten zeigt sich das in Ägypten, wo die Regierung unter dem Vorwand der „Schweinegrippe“ alle Schweine des Landes abschlachten lässt. In dem mehrheitlich muslimischen Land gehören die Schweine den Kopten - christlichen Ägyptern. Sie mussten in den letzten Jahrzehnten immer wieder zum Sündenbock für ein Regime herhalten, das von der Bevölkerung immer schlechter gelitten wird.
Ebenfalls für eigene Interessen benutzen Russland und China die „Schweinegrippe“ und proklamieren ein Einfuhrverbot für Schweinefleisch aus Amerika. Dahinter stecken keine Sicherheitsbedenken, sondern Protektionismus. Den kann man schlecht finden oder nicht, jedoch ist er eine Frage der WTO (Welthandelsorganisation) und nicht der WHO (Weltgesundheitsorganisation).
Die Krankheit kann zwar keinesfalls durch den Verzehr von Schweinefleisch übertragen werden. Doch das stört Verbraucher auch hierzulande nicht, weniger Schwein zu kaufen. Kann man es ihnen verdenken, wenn der Appetit vergeht angesichts der „Schweinegrippe“ auf allen Titeln und Sendern? Vielleicht glaubt mancher wirklich, mit dem Verzicht auf das Schnitzel und die Bratwurst das Ansteckungsrisiko zu vermindern. Einfache Namen verzerren die Wirklichkeit.
In den USA, dem wichtigsten Schweinefleischexporteur der Welt, heißt die „Schweinegrippe“ daher seit gestern „2009 H1N1 Grippe“. Das ist nicht nur ein Eingeständnis an die Lobby, sondern auch eines der Machtlosigkeit. Der Name ist so rätselhaft wie die Krankheit selbst.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen