Kommentar Schwarz-Grün: Hamburg beflügelt die Fantasie

Schwarz-Grün in Hamburg wird Exempel dafür, wie groß Schnittmengen zwischen CDU und Grünen sind. Die Zeit der Festlegungen ist vorbei.

"Wenn ich mit Frau Merkel beispielsweise einen Mindestlohn einführen oder Atomkraftwerke abschalten kann, warum soll ich dann nicht mit Frau Merkel koalieren?" So salopp konterte der grüne Spitzenkandidat Jürgen Trittin gestern im Fernsehen die Frage, ob die schwarz-grüne Koalition in Hamburg als Vorbild für den Bund tauge.

Mit solchen Wenn-dann-Formulierungen wird es die Öffentlichkeit in Zukunft noch häufiger zu tun bekommen. Seit Wochen hält sich der hessische Chef-Grüne Tarek Al-Wazir so die Frage nach einer Koalition mit Roland Koch vom Leib. Wenn Koch grüne Politik mache, sagt Al-Wazir, sei das durchaus vorstellbar. Abgeguckt haben sich die Grünen diesen Kniff von Oskar Lafontaine. Auf die Frage nach einer möglichen Koalition der Linkspartei mit der SPD sagt der stets: "Ja, wenn die SPD Hartz IV abschafft …"

Damit reagieren die kleinen Parteien auf die Zumutungen des Fünfparteiensystems, das allen mehr Flexibilität abverlangt. Trittin glaubt natürlich nicht, dass sich mit Merkel AKWs abschalten lassen. Dem Publikum bleibt es überlassen, darüber zu grübeln, wie ein Kompromiss aussehen könnte. Es bekommt aber suggeriert, es gehe den Parteien wirklich um Inhalte.

Darum aber geht es nur in zweiter Linie. Zuerst soll sich der träge Wähler an den Gedanken gewöhnen, dass eine Koalition "vorstellbar" ist. Ist ein Bündnis machtpolitisch gewollt, klappt es, wie in Hamburg, meist auch mit den Inhalten. Schwarz-Grün in Hamburg wird jetzt das Exempel dafür, wie groß die Schnittmengen zwischen CDU und Grünen wirklich sind.

Natürlich wollen die Grünen so wenig auf Schwarz-Grün festgenagelt werden, wie sie seit 2005 nicht mehr auf Rot-Grün festgenagelt werden wollten. Es will sich überhaupt niemand mehr auf irgendetwas festlegen. Erst einmal wollen alle Parteien sehen, wie sich der Wählerwille bis zur Bundestagswahl 2009 sortiert.

Langsamer als die Parteispitze bewegt sich meist die Parteibasis, am langsamsten aber bewegt sich der Wähler. So hoffen die Grünen inständig, dass ihre Wähler ihnen folgen und sich möglichst bald vom Lagerdenken lösen. Dafür aber müssen sie erst noch deren Vorstellungskraft bearbeiten.

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Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.

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