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Kommentar Schwarz-GelbRegierung am Abgrund

Bettina Gaus
Kommentar von Bettina Gaus

Die Atomausstieg-Begründung mit Fukushima ist verlogen, wenn sie von einer Physikerin kommt. Die größte Gefahr jedoch droht Merkel jetzt von ihren eigenen Anhängern.

A ngela Merkel hat im Bundestag ihre Kehrtwende in der Energiepolitik mit der Katastrophe von Fukushima begründet. Wenn eine Physikerin, die früher Umweltministerin war, so etwas behauptet, dann ist das nicht glaubwürdig.

Schließlich sind die Gefahren der Atomenergie nicht erst seit einigen Monaten bekannt. Auf Stimmenfang wollte die Kanzlerin eben gehen, mehr nicht. Sie hat sich verkalkuliert. Ihre Regierung steht am Abgrund – und die größte Gefahr droht ihr von den eigenen Anhängern.

Nun ist es weder neu noch ungewöhnlich, dass Politiker unter dem Druck der öffentlichen Meinung überraschende Volten schlagen. Aber die Atompolitik war jahrzehntelang nicht nur Anlass für tagesaktuelle Kontroversen, sondern – zumindest für die Grünen und für die Union – Ausdruck eines Kulturkampfes. Wenn man einen solchen Kampf verloren gibt, dann muss man das den eigenen Leuten gegenüber sehr gut begründen. Das tut Angela Merkel nicht.

Bild: taz
BETTINA GAUS

BETTINA GAUS ist politische Korrespondentin der taz.

Sie begründet ja auch andere Entscheidungen nicht, die Anhänger der Union als Zumutung empfinden und die der traditionellen Politik von CDU und CSU zuwiderlaufen. Man könnte den Eindruck gewinnen, die deutsche Enthaltung im Weltsicherheitsrat zum Libyen-Einsatz sei allein vom Außenminister zu verantworten und die Kanzlerin habe damit nicht das Geringste zu tun gehabt.

Auf die Dauer ist Wegducken kein überzeugendes Konzept. Die Frage nach dem Kurs der Regierung wird immer lauter gestellt, inzwischen auch von Landespolitikern, die bislang solidarisch schwiegen. Eine Antwort auf die Frage bekommen sie nicht. Was verständlich ist, denn die Regierung hat ja offenbar keinen Kurs.

In der Unionsfraktion wächst die Wut. Probeabstimmungen haben gezeigt, dass die Kanzlerinnenmehrheit nicht mehr gesichert ist, weder beim Thema Griechenland-Hilfe noch bei der Energiepolitik. Wahrscheinlich werden die Abweichler am Ende doch zähneknirschend zustimmen, schon weil viele im Falle von Neuwahlen ums eigene Mandat fürchten. Wenn man in einer solchen Situation aber auch noch einen schwächelnden Partner so demütigt, wie Merkel das jetzt mit der FDP getan hat, dann – ja, was dann? Koalitionen zerbrechen fast immer an kleinteiligem Zank, selten an den großen Grundsatzfragen. Aber zerbrechen können sie.

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Bettina Gaus
Politische Korrespondentin
Jahrgang 1956, ist politische Korrespondentin der taz. Von 1996 bis 1999 leitete sie das Parlamentsbüro der Zeitung, vorher war sie sechs Jahre lang deren Korrespondentin für Ost-und Zentralafrika mit Sitz in Nairobi. Bettina Gaus hat mehrere Bücher veröffentlicht, zuletzt 2011 „Der unterschätzte Kontinent – Reise zur Mittelschicht Afrikas“ (Eichborn).
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12 Kommentare

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  • R
    reblek

    "Kanzlerinnenmehrheit" - Wie viele "Kanzlerinnen" gibt es? Handelt es sich nicht schlicht um eine "Kanzlerinmehrheit"?

  • K
    Kati

    Was ist so schlimm, wenn eine Regierung einen falschen Weg korrigiert? Ist Durchhalten des bekannt Falschen denn besser? Die SPD freut sich heute noch über ihr Hartz 4 und die Niedrigstlöhne und ihre Steuersenkung für die Reichsten und ist kriegsfreudig. Die Grünen haben sich bis heute nicht von ihrer Zustimmung zu Hartz 4 und zu den Niedrigstlöhnen (=moderne Reform des Arbeitsmarktes)und den Steuersenkungen für die Reichsten (=auseinanderdriften der Einkommensschere) distanziert und sind kriegsfreudig. Schon erfolgreich verdrängt? Dann lieber eine Physikerin, die auch eine Wendung zu einem Thema hinbekommt, bei dem wir alle ihr im Grunde zustimmen. Wenn Fukushima dazu keinen Grund liefert, was dann? Ausserdem ist Merkel vermutlich die letzte Kanzlerin, die Deutschland soweit eigene Wege führen durfte, dass sie keine deutschen Bomber gegen Libyen schickte. Wofür wir alle ihr dankbar sein müßten, sie aber nur mediale Verachtung erhielt. Bei einer SPD-, Grünen- und taz-Regierung wäre Deutschland beim bomben dabei, ganz "verläßlich", so wie diese es fordern. Wenn ich mit Merkel konform gehe, dann bei diesen beiden Punkten. Wie kann man da dagegen sein und sogar gegen diese Entscheidungen in gewohnter Manier anschreiben, frage ich mich? Weil richtige Entscheidungen für dieses Land und das Deutsche Volk (so es ein solches noch gibt)von der "Falschen" getrofffen wurden?

  • G
    GWalter

    Zwei passende Zitat von Tschernomyrdin

     

    Der kürzlich verstorbene ehem. russische Ministerpräsident Viktor Tschernomyrdin war in Russland bekannt für seine oft lächerlich Sprüche und für die ganze Unfähigkeit der damaligen russischen Führung.

    Genau so mutet mich Merkel immer mehr an, die nur noch herumlaviert und dabei immer den Kurs "gegen den Normalbürger" findet.

     

    Hier zwei passende Zitat von Tschernomyrdin:

    "Wir haben alle Punkte erfüllt von A bis B"

    "Das Resultat unserer Tätigkeit war gering, aber Hauptsache es gibt eine Regierung"

  • K
    karolus

    Gute Kommentare zu Gausens Kommentar! Das Fazit kann doch nur "Merkel muss weg!" lauten! Doch wer bewegt Merz zur Rückkehr in die Politik?!

  • V
    vic

    @ Diplomphysiker

     

    Werter Herr Diplomphysiker.

    Unkalkulierbare Risiken nennt man so, weil sie unkalkulierbar sind.

    Würde man sie mit allen Konsequenzen kennen, wären sie nicht länger unkalkulierbar.

    Nebenbei bemerkt.

    Welches Restrisiko ich zu akzeptieren habe, möchte ich mir nicht ausgerechnet von der Kanzlerin diktieren lassen.

  • V
    vic

    @ Martin

    Weil Merkels Atomaustieg keiner ist.

    Aber das kann auch kaum jemand verstehen. Schlimmer noch- nicht einmal erkennen.

  • W
    Waage

    @Diplomphysiker,

     

    wie lange muss radioaktiver Abfall aus Atomkraftwerken noch mal sorgfältig & sicher aufgehoben werden bis keine Gefahr mehr von ihm ausgeht?

     

    Antwort A: ein Monat?

    Antwort B: ein Jahr?

    Antwort C: ein Jahrzehnt?

    Antwort D: ein Jahrhundert?

    Antwort E:...???...?

  • S
    Stefan

    "Auf die Dauer ist Wegducken kein überzeugendes Konzept" - ach nein? Hat Kohl nicht 16 Jahre lang bewiesen, dass man mit Aussitzen am weitesten kommt? Und beweist Merkel nicht seit 8 Jahren dasselbe?

     

    Immerhin hat Merkel den Schwenk zur selben Zeit vollzogen wie die Wähler. In der Hinsicht macht ihr so schnell eben keiner was vor. Auch die Wähler haben doch noch im September Schwarz-Gelb an die Macht gebracht, obwohl diese ihre Atompolitik ausdrücklich angekündigt hatten und obwohl die jetzige Opposition daraus im Wahlkampf so ein Riesending gemacht hat, dass es die Sonne verdunkelt hat.

    Auch die Wähler haben doch zeitgleich mit Fukushime "für sich eine Neubewertung vorgenommen".

    Am Ende wählen die womöglich wieder lieber Merkel, deren Beispiel ihr eigenes Verhalten nicht in Frage stellt sonder bestätigt, statt Parteien, deren Beispiel schreit "Wir haben es Euch doch schon immer gesagt".

     

    Nur wenn Merkels innerparteiliche Gegner den Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg tatsächlich noch kippen sollten, dann wählen die Wähler womöglich tatsächlich lieber das Original. Aber auch dass Merkels innerparteiliche Gegner sich durchsetzen, wäre das erste Mal; oder dass deren Abschießen ihr irgendwie schaden würde.

     

    Ich würde mir von Journalisten weit über 90 % weniger Herbeischreiben von Merkels Untergang wünschen. Wie oft wurde der nicht schon prophezeit. Allein, dass Guttenbergs Untergang auch ihr Untergang sein würde, da war sich einige Wochen lang aber noch jeder Kommentator sicher.

     

    Wir wärs denn statt dessen mal mit einer konsequenten Analyse für die Gründe ihres gnadenlosen Erfolges?

    Aber dann müsste man sich ja mit dem Umstand auseinandersetzen, dass letzendlcih die Wähler daran schuld sind.

    Neeeee, das is zu viel verlangt, seh ich ein.

  • M
    Martin

    Warum neuerdings auch die taz und die Grünen gegen den Atomausstieg sind, kann auch niemand mehr verstehen.

  • D
    Diplomphysiker

    Man fragt sich unwillkürlich, auf Grundlage welcher Kompetenz die Nichtphysikerin Gaus das Urteilsvermögen der Physikerin Merkel in dieser Frage als richtig oder falsch bewerten will. Tatsächlich ist Merkels Entscheidung völlig unabhängig von ihrem naturwissenschaftlichem Hintergrund und allein der von den Medien geschürten Atomhysterie geschuldet, vor welcher sie zurückweicht anstatt ihr argumentativ entgegenzutreten. Objektiv betrachtet taugt der Reaktorunfall von Fukushima nämlich gerade nicht für eine Bewertung der deutschen Kernkraftwerke: Erdbeben vergleichbarer Stärke können hierzulande ausgeschlossen werden, Tsunamis erst recht. Außerdem handelte es sich bei den japanischen Anlagen um technisch überholte Kernkraftwerke der ersten Generation, denen zudem elementare Sicherheitssysteme wie Wallmannventil und Töpferkerze fehlten, die in Deutschland seit über 20 Jahren vorgeschrieben und überall installiert sind, und die sowohl das Abblasen radioaktiv belasteten Wasserdampfes als auch die aufgetretenen Knallgasverpuffungen hierzulande wirksam verhindert hätten, womit der größte Teil der radioaktiven Emissionen überhaupt unterblieben wäre. Aus diesem ist Merkels Verweis auf Japans Hochtechnologiestatus in diesem Fall völlig abwegig und lediglich eine durchsichtige Schutzbehauptung, mit der das eigene Nervenflattern verschleiert werden soll.

  • V
    vic

    Das Restrisiko, dieses Chamäleon noch bis 2013 oder länger zu ertragen, kann ich längst nicht mehr akzeptieren. Die Katastrophe ist bereits eingetreten; sie regiert.

  • K
    Kalle

    Nun, immerhin hat sie mit der Aussage, sie habe für sich eine Neubewertung vorgenommen, ausdrücklich zugegeben, dass sie heute was Anderes erzählt als gestern.

    Gut, was Anderes wäre in diesen Fall auch von ihr beim besten Willen nicht glaubwürdig zu verkaufen gewesen, dennoch ist es für ihre Verhältnisse viel, sehr viel.

    Normalerweise würde sie nämlich heute mit demselben Brustton der Überzeugung das Gegenteil von gestern verzapfen und durchsetzen und das noch nicht einmal irgendeines Kommentars für würdig befinden.

     

    Sie tut eben immer so wenig wie möglich und so viel wie nötig, um sich damit durchsetzen zu können. Sie hat mir der ihr eigenen traumwandlerischen Sicherheit erkannt, dass hierfür in diesem Fall ein deutlich mehr nötig ist, als sonst. Deswegen macht sie deutlich mehr. Gemessen an der Sachlage sicher immer noch wenig, aber das ist ein dummer Vergleichsmaßstab. Einzuordnen ist es vielmehr im Vergleich mit ihrem sonstigen Verhalten; und im Vergleich dazu ist es bemerkenswert.

     

    Ob sie sich damit erstmals verkalkuliert hat wird sich - mein absoluter Lieblingskommentar zu Merkelkommentaren von Journalisten - noch rausstellen.