Kommentar Schultrojaner: Lizenz zum Ausspähen
Die Plagiatssoftware wird unkontrolliert Buchkopien, Mails und Notenspiegel ausspähen. Sie wird die Privatheit der Schulen zerstören und ihre Freiheit. Bit für Bit.
K ürzlich empörten sich Piraten und Justizministerin über den Schultrojaner. Das ist eine Kontrollsoftware, die Schulcomputer auf verbotene Kopien von Lehrwerken durchforstet. Leider ist die Öffentlichkeit kaum auf die Debatte angesprungen. Das sollte sie nachholen.
Denn die Erlaubnis der Schulminister für Private, eine Plagiatssoftware zu schreiben, muss zurückgenommen werden: Sie ist nichts anderes als eine Lizenz zum Ausspionieren von Lehrern und Schülern.
Ja, es stimmt. In dem Vertrag zwischen Bildungsministern und Schulbuchverlagen werden wichtige Fragen verhandelt. Und die sind viel komplexer, als es sich mancher Blogger in der rosaroten Zukunft frei verfügbarer Lehrmaterialien ("open educational ressources") erträumt.
ist Bildungsredakteur der taz.
Nur lösen die Kultusminister das Problem ihrerseits ziemlich schlicht, genauer: mit bürgerrechtsfeindlicher Chuzpe: Sie überlassen es einem privatwirtschaftlichen Kartell, die Kontrollsoftware zu programmieren. Aber wer, bitte schön, soll kontrollieren, was die Kontrollsoftware alles "kontrolliert"?
Ist der Plagiatswurm erst im Apfel drin, verschlingt er, was ihm schmeckt - Buchkopien, Mails von Lehrern, womöglich deren Personalblätter und die Notenspiegel der Abiklassen gleich mit. Der kleine Bruder frisst die Privatheit der Schulen auf. Die Freiheit stirbt Bit für Bit.
Den Schulbuchverlagen muss man nicht gram sein. Sie sind nicht fürs Gemeinwohl zuständig, sondern haben das Quasimonopol über eine halbe Milliarde Euro zu verteidigen. Ihr Job ist es, die erodierenden Märkte des (Schul-)Buchdrucks zu konservieren - solange wie möglich.
Denn dass der Online-Tsunami ihre alten Industrien durcheinanderwirbeln wird, steht außer Frage. Aber die Kultusminister, die haben ihren Amtseid auf die Akkumulation des Wissens der Schüler und auf das Vertrauen zu den Lehrern geschworen. Den brechen sie, zum wiederholten Male. Wie lange dürfen die sich das eigentlich noch erlauben?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Matheleistungen an Grundschulen
Ein Viertel kann nicht richtig rechnen
Innenminister zur Migrationspolitik
Härter, immer härter
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Börsen-Rekordhoch
Der DAX ist nicht alles