Kommentar Schuldspruch gegen Chirac: Das Ende eines Justizdesasters
Der Schuldspruch gegen den Expräsidenten Jacques Chirac war für die Vergangenheitsbewältigung bitter nötig. Und er beweist die Unabhängigkeit der französischen Justiz.
E inen verdienstvollen Staatspräsidenten wie Jacques Chirac an seinem Lebensabend durch ein Gerichtsurteil zu besudeln? Das hielt die Verteidigung für nicht statthaft. Denn damit würde ja Frankreichs Geschichte in den Dreck gezogen.
Dass die französischen Politik bis in die 1990er Jahre fast alle Mittel zur Geldbeschaffung recht waren, weil die Parteifinanzierung nicht klar gesetzlich geregelt war, räumen gern alle ein. Aber: Ist das ein Grund, alle Verfahren gegen den Exbürgermeister von Paris und Exchef der Gaullisten einzustellen?
Es war eine Desaster für den Ruf der französischen Justiz, dass eine ganze Reihe von Finanzskandalen aufgrund der Immunität des Präsidenten von 1995 bis 2007 in der Schublade auf die Verjährung warten mussten - obwohl sie mit allen Details in der Presse standen.
Die jetzige Entscheidung war zur Bewältigung dieser Vergangenheit nötig. Denn Chiracs Platz in der Geschichte durfte weder auf einer mit juristischen Tricks und politischem Einfluss erwirkten Straffreiheit beruhen noch auf der Nachsicht für einen altersschwachen Angeklagten.
Das Gericht in Paris hat mit dem Schuldspruch auch ein Exempel der Unabhängigkeit statuiert, die sie immer wieder für sich beansprucht. Noch sind solch mutige Urteile gegen den expliziten Wunsch des Justizministeriums in Frankreich die Ausnahme. Die Regel bleibt, dass die politische Macht den Staatsanwaltschaften sagt, was sie in brisanten Verfahren tun sollen - und was nicht.
Dass dies im Fall Chirac trotz massivem Drucks von oben nun nicht funktioniert hat, ist eine erfreuliche Überraschung. Zwar wurde die Zivilklage der Vereinigung "Anticor" vom Gericht abgewiesen. Aber dennoch hat der Kampf gegen Korruption, Vettern- und Klientelwirtschaft in der Politik in Frankreich gestern einen wichtigen Sieg errungen.
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