Kommentar SPD: Was Fürsten versprechen
Wäre es Wortbruch, wenn sich Ypsilanti von der Linken wählen lässt? Wichtig ist doch, dass sie Manövrierraum für ihre Politikinhalte gewinnt.
A m Freitag in Augsburg hat der SPD-Vorsitzende Beck sein vorzeitiges Wort zum Sonntag gesprochen. Auch der Pfarrer, so Beck, predigt nur einmal. Und zum Thema Linkspartei habe er alles Notwendige gesagt. Bloß worin, um Gottes willen, besteht das "Eindeutige", das jetzt die SPD-Philologen aus Becks Predigt destillieren wollen? Alle diese Anstrengungen fruchten nichts. Die Worte des Vorsitzenden, seine Ablehnung der "aktiven Zusammenarbeit" mit der Partei der Linken, seine Absage an "Absprachen oder sonstige Zusammenarbeit" schließen gerade nicht aus, dass sich Andrea Ypsilanti mit den Stimmen der Linkspartei zur Ministerpräsidentin wählen lassen wird.
"Wortbruch" heißt jetzt die schlimme Vokabel. Schlag nach im Standardwerk Machiavellis, "Der Fürst", Kapitel 18: "Es ist lobenswert, wenn ein Fürst sein Wort hält. Dennoch haben viele Fürsten durch Wortbruch viel vollbracht." Und weiter: "Ein Fürst muss wortbrüchig werden, wenn sein Versprechen für ihn von Nachteil ist und wenn die Gründe, warum er es gegeben hat, wegfallen." Worte des Zuspruchs für unsere hessische Fürstin in spe.
Bleibt nur der ärgerliche Faktor der Glaubwürdigkeit. Die sich jetzt abzeichnende neue Fünferparteienkonstellation macht jede künftige Regierungsbildung schwierig - auch in Hamburg. Aber kann sich Andrea Ypsilanti einfach über das von ihr vielfach abgegebene Versprechen hinwegsetzen, sie werde sich keinesfalls mit den Stimmen der Partei der Linken wählen lassen? Und ruiniert nicht die Notwendigkeit parteipolitischer "Flexibilität" die knappe Ressource des Vertrauens, die das Publikum in die Zuverlässigkeit von Politikerworten investiert hat? So sehen es zumindest die Parteienforscher, die von dem großen Risiko auch für die Bundes-SPD sprechen, sollte diese im Fall Hessen zum Wortbruch schreiten.
Es wäre etwas billig, es bei der Häme darüber zu belassen, wie dämlich sich die SPD angestellt hat. Jetzt ist etwas Ermunterung angebracht. Seilt Ypsilanti sich von einem Versprechen ab, das eh nie inhaltlich begründet war, so gewinnt sie Manövrierraum für die Politikinhalte, deren Verwirklichung sie den Hessen versprochen hat. Es ist dieses Versprechen, das zählt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Machtkämpfe in Seoul
Südkoreas Präsident ruft Kriegsrecht aus
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader