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Kommentar SPD versus ClementDer Weg aus der Angststarre

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Wolfgang Clement ist nicht Grund, sondern allein Katalysator der SPD-Krise. Die Partei ist uneins mit sich selbst.

Die Beck-SPD hat viel getan, um die Wunde Agenda 2010 endlich zu kurieren. Sie hat das Arbeitslosengeld verlängert und mit dem Mindestlohn ein Thema gefunden, bei dem sie wieder mit den Gewerkschaften an einem Strang ziehen kann. Kurt Beck hat diesen Kurs durchaus geschickt gefahren und Kompromisse gefunden, die der verbitterten SPD-Basis entgegenkamen, ohne den Steinmeier-Steinbrück-Flügel vor den Kopf zu stoßen. Die Wunde begann gerade zu heilen.

Bild: taz

Stefan Reinecke ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz.

Umso ernüchternder wirkt der Streit, den der Fall Clement ausgelöst hat. Er zeigt, wie dünn und frisch der Schorf ist. Und dass Becks Politik des Durchwurstelns zu wenig war. Der Deutungskampf um die Agenda tobt so heftig, als hätte es all die Selbstheilungsversuche nie gegeben.

Der Fall Clement ist nicht der Grund, er ist der Katalysator, der zeigt, wie uneins die SPD mit sich ist. Diese Zerrissenheit spiegelt sich direkt in ihrem zwischen hysterischer Abgrenzung und klammheimlicher Annäherung schwankenden Verhältnis zur Linkspartei. Was nun? Die SPD braucht einen entschlossenen Doppelschritt. Dafür müssen der linke und der rechte Flügel ihre Gräben verlassen. Die SPD-Linke muss die entschärfte Agenda 2010 als Fakt anerkennen. Sie muss aus dem Traum erwachen, dass es einen Weg zurück in den Stand der Unschuld vor Hartz IV gibt. Und akzeptieren, dass die SPD eine Partei der Leistungsträger geworden ist, die Globalisierungsverlierern nicht mehr viel zu sagen hat.

Die SPD-Rechte muss sich von ihrer kurzsichtigen negativen Fixierung auf die Linkspartei lösen. Und begreifen, dass die langfristige Arbeitsteilung mit einer zweiten, linkssozialdemokratischen Partei kein Unglück ist, sondern ein Geschenk: nämlich die realistische Chance auf eine sozialdemokratisch geführte Regierung.

Kurzum: Die SPD muss die Agenda 2010 anerkennen - inklusive ihrer Folgen, der Linkspartei. Das mag kühn wirken. Aber es ist der einzige Weg, der aus der Angststarre führt. Und der verhindert, dass der SPD ein Fall Clement immer wieder passiert.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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2 Kommentare

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  • J
    Joachim

    In der taz wie in der gesamten Presse der Republik: Man geht dem gerissenen PR-Mann Clement auf den Leim. Seine Umdeutung der Entscheidung des unabhängigen Schiedsrerichts in eine angebliche Abrechnung mit seinen politischen Ansichten ist wirklich bemerkenswert.

    Aber trotzdem sollte man bei den Fakten bleiben:

    Clement hat dazu aufgerufen seine Partei nicht zu wählen. Und das in seiner herausgehobenen Stellung. Er hat diese Einlassungen in Presse, Funk und Fernsehen wiederholt und würde Sie nach eigener Erklärung so wieder äußern.

    Nach dem Organisationsstatut der SPD ist das ein stichhaltiger Grund für einen Parteiausschluss.

    Darum geht in der Sache Clement- um nicht mehr und nicht weniger. Alles andere ist geschickt drapiertes Beiwerk, um von diesem Kern abzulenken.

  • L
    Ludwig

    Es geht ja erstmal nicht um inhaltliches. Sondern Herr Clement hat dazu aufgerufen, seine eigene Partei nicht zu wählen. Dass er das inhaltlich im Nachhinein mit der Agenda 2010 vermischt, ist aus seiner Sicht nachvollziehbar. Richtiger wird es deshalb nicht. Eigenartigerweise läßt sich die Parteiführung und die gesamte SPD jetzt wie das Kalb zur Schlachtbank von Herrn Clement am Nasenring durch die Medienlandschaft ziehen.

    Herr Clement's Wirtschaftsministerium hat in den rot-grünen Regierungsjahren auf der offiziellen Homepage Hartz 4-Bezieher als Parasiten bezeichnet. Eigenartigerweise wurde das damals nicht zum Aufreger. Denn allein das hätte schon zu einem Parteiausschluß führen müssen. Wegen Menschenverachtung.

    Wer soll diese SPD SO wählen? Die einen, die 'Neue Mitte', wählt gleich das Original, nämlich CSU/CDU/FDP. Die anderen werden von der SPD gar nicht mehr angesprochen und wählen DIE LINKE.