Kommentar SPD versus Clement: Der Weg aus der Angststarre
Wolfgang Clement ist nicht Grund, sondern allein Katalysator der SPD-Krise. Die Partei ist uneins mit sich selbst.
Die Beck-SPD hat viel getan, um die Wunde Agenda 2010 endlich zu kurieren. Sie hat das Arbeitslosengeld verlängert und mit dem Mindestlohn ein Thema gefunden, bei dem sie wieder mit den Gewerkschaften an einem Strang ziehen kann. Kurt Beck hat diesen Kurs durchaus geschickt gefahren und Kompromisse gefunden, die der verbitterten SPD-Basis entgegenkamen, ohne den Steinmeier-Steinbrück-Flügel vor den Kopf zu stoßen. Die Wunde begann gerade zu heilen.
Umso ernüchternder wirkt der Streit, den der Fall Clement ausgelöst hat. Er zeigt, wie dünn und frisch der Schorf ist. Und dass Becks Politik des Durchwurstelns zu wenig war. Der Deutungskampf um die Agenda tobt so heftig, als hätte es all die Selbstheilungsversuche nie gegeben.
Der Fall Clement ist nicht der Grund, er ist der Katalysator, der zeigt, wie uneins die SPD mit sich ist. Diese Zerrissenheit spiegelt sich direkt in ihrem zwischen hysterischer Abgrenzung und klammheimlicher Annäherung schwankenden Verhältnis zur Linkspartei. Was nun? Die SPD braucht einen entschlossenen Doppelschritt. Dafür müssen der linke und der rechte Flügel ihre Gräben verlassen. Die SPD-Linke muss die entschärfte Agenda 2010 als Fakt anerkennen. Sie muss aus dem Traum erwachen, dass es einen Weg zurück in den Stand der Unschuld vor Hartz IV gibt. Und akzeptieren, dass die SPD eine Partei der Leistungsträger geworden ist, die Globalisierungsverlierern nicht mehr viel zu sagen hat.
Die SPD-Rechte muss sich von ihrer kurzsichtigen negativen Fixierung auf die Linkspartei lösen. Und begreifen, dass die langfristige Arbeitsteilung mit einer zweiten, linkssozialdemokratischen Partei kein Unglück ist, sondern ein Geschenk: nämlich die realistische Chance auf eine sozialdemokratisch geführte Regierung.
Kurzum: Die SPD muss die Agenda 2010 anerkennen - inklusive ihrer Folgen, der Linkspartei. Das mag kühn wirken. Aber es ist der einzige Weg, der aus der Angststarre führt. Und der verhindert, dass der SPD ein Fall Clement immer wieder passiert.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
Überraschung bei U18-Wahl
Die Linke ist stärkste Kraft
RTL Quadrell
Klimakrise? War da was?
Ukraine-Verhandlungen in Saudi-Arabien
Wege und Irrwege aus München
Verlierer der Wahlrechtsreform
Siegerin muss draußen bleiben