Kommentar SPD gegen Steuersenkung: Clever, aber nicht ungefährlich
Wenn die SPD gegen teure Steuersenkungen nach Karlsruhe zieht, muss sie bei eigener Regierungsverantwortung damit rechnen, dass sie selbst ständig vor Gericht gezerrt wird.
D ie Idee ist erst einmal gar nicht schlecht, um Rolle und Rang eines neuen Verfassunginstruments politisch abzuklopfen: SPD-Chef Sigmar Gabriel hat angekündigt, dass die SPD eine Klage gegen jegliche Steuersenkungen der Koalition erwäge. Denn die Schuldenbremse verbiete es, auf Steuergeld zur Haushaltskonsolidierung zu verzichten.
Seit Mitte 2009 steht die Schuldenbremse im Grundgesetz. Wegen ihrer disziplinierenden Wirkung wurde sie in der Eurokrise zum Exportschlager. Innenpolitisch ausgeleuchtet ist aber noch lange nicht, was es bedeutet, die staatliche Kreditaufnahme derartig zu beschränken.
So ging etwa die Kritik vieler linker Ökonomen, die Schuldenbremse komme einer undemokratischen Selbstamputation der Politik gleich, im Strudel der aktuellen Krise komplett unter. Die Verschuldung der EU-Staaten gilt nun vielmehr als Beweis dafür, dass Regierungen an die verfassungsrechtliche Kandare gehören, denn sonst werfen sie mal eben die öffentlichen Haushalte den Finanzmärkten als Spielknochen vor.
ist Co-Leiterin des Inlandsressorts der taz.
Eine Klage vorm Bundesverfassungsgericht würde also die notwendige Debatte darüber eröffnen, wie viel Kontrolle die Politik überhaupt noch darüber haben soll, wofür sie Geld ausgibt. Genau in diesem Punkt aber begibt sich der potenzielle Kläger Gabriel auf recht dünnes Eis. Denn wer heute gegen teure Steuersenkungen nach Karlsruhe zieht, morgen dort vielleicht andere schwarz-gelbe Kostspieligkeiten beklagt, möchte ja übermorgen selbst regieren.
Wenn die SPD jetzt Ernst macht, darf sie sich nach einem immerhin denkbaren Regierungsantritt in nicht ferner Zukunft nicht wundern, wenn bei jedem ihrer Schritte die Opposition laut "Karlsruhe!" ruft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin