Kommentar SPD-Urwahl: Scharping lässt grüßen
Die SPD hat mit der Urwahl keine guten Erfahrungen gemacht. Auch diesmal kann eine Mitgliederbefragung die Probleme in der SPD nicht lösen.
D er Name sagt schon alles. Rudolf Scharping hieß der bisher einzige Kanzlerkandidat der SPD, der seinen Aufstieg einer parteiinternen Urwahl verdankte. Der Mann also, der im Rückblick fast allen Sozialdemokraten als die Inkarnation der personellen Fehlbesetzung gilt. Wer also jetzt eine Mitgliederbefragung über die nächste Kanzlerkandidatur vorschlägt, der eröffnet ein Assoziationsfeld, das auch über die Qualifikation des amtierenden Parteichefs Kurt Beck nur diesen einen Schluss zulässt. Einmal ganz davon abgesehen, dass eine Urwahl dem Pfälzer den einzigen Ausweg verbauen würde, den es in seiner misslichen Lage aus heutiger Sicht zu geben scheint: die Kanzlerkandidatur generös dem sozialdemokratischen Außenminister zu überlassen und auf diese Weise den Parteivorsitz für sich zu retten.
Ralph Bollmann ist Leiter im taz-Inlandsressort.
Dabei gäbe es auch bei einer ernsthaften Betrachtung durchaus gewichtige Argumente gegen Mitgliederentscheide. Die Parteibasis hat andere Interessen als die Wählerschaft. Der Bewerber, der die eigenen Mitglieder am wenigsten verschreckt und nach innen Harmonie verbreitet, ist für Außenstehende nur selten attraktiv. Mit Kandidaten, die aus Urwahlen hervorgingen, hat die SPD im Bund wie in den Ländern überwiegend krachende Niederlagen eingefahren. Bei allen Schwächen des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder: Die Vermutung ist wohl nicht allzu verwegen, dass er bei der Bundestagswahl 1994 gegen Helmut Kohl deutlich besser abgeschnitten hätte als Rudolf Scharping.
Vielversprechender ist da schon das in den USA oder jüngst in Griechenland praktizierte System, über den engen Kreis der Mitglieder hinaus auch die Anhänger der Partei an der Urwahl zu beteiligen. Auch dieses Instrument kann aber, wie derzeit bei den US-Demokraten, die eigene Partei spalten und die Ausgangslage für die eigentliche Wahl eher verschlechtern. Noch problematischer ist das Instrument, wenn es wie bei der SPD nur in Situationen völliger Hilflosigkeit ins Spiel gebracht wird. Der Unernst, mit dem das Instrument der Urwahl jetzt für Sticheleien gegen Beck benutzt wird, lässt jedenfalls allen Respekt vor den Parteimitgliedern vermissen.
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