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Kommentar SPD-ParteitagGemütlich in den Abgrund

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Bei der SPD müsste nach dem Wahldebakel eigentlich ein scharfer Grundsatzstreit ausgetragen werden. Doch in der Partei passiert nichts.

Sechs Millionen Stimmen hat die SPD bei der Bundestagswahl im Vergleich zu 2005 verloren. In 60 Jahren bundesrepublikanischer Geschichte hat keine Partei ein solches Desaster erlebt. Und niemand kann heute sagen, ob die Sozialdemokraten damit schon auf dem Tiefpunkt angekommen sind oder ob der Verfall erst richtig beginnt.

Was nach einer solchen Katastrophe ansteht, ist, zumindest bei lebendigen Organistionen, sehr einfach. Gerade bei einer Programmpartei wie der SPD, die sich mit Sinnfragen auskennt, muss nun ein scharfer Grundsatzstreit ausgetragen werden: eine tabulose Debatte über die Agenda-Politik, die der SPD wie ein böser Schatten folgt; eine schonungslose Abrechnung mit dem Personal, das für dieses Debakel verantwortlich ist. So wie 1983, als die SPD schon einmal nach einem Jahrzehnt in der Regierung Bilanz zog. Damals bekam Helmut Schmidt für seine Nato-Politik beim Kölner Parteitag 14 von 400 Stimmen. Die SPD wandelte sich in eine Partei, die Sensoren für die Öko- und Friedensbewegung entwickelte und auf der Höhe der Zeit war.

Bild: taz

Stefan Reinecke ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz.

2009 passiert in der SPD - nichts. In der Partei herrscht bis dato eine geradezu unheimliche Stille. Bei der einzigen Kampfabstimmung, die es in der SPD nach dem Debakel gab, ging es darum, wer Bundestagsvizepräsident werden darf. Das neue Führungspersonal wurde schnell und pragmatisch im Hinterzimmer ausgeheckt. Dementsprechend wird die SPD heute in Dresden wohl folgsam Sigmar Gabriel und Andrea Nahles an die Spitze wählen. Den Streit um Agenda und Steuersenkungspolitik unter Rot-Grün entsorgt der Leitantrag in einer geschickten Einerseits-andererseits-Rhetorik. Bloß keine Generalinventur, bloß kein Streit, der aus dem Ruder laufen könnte.

Die SPD wird sich auf ihrem Dresdner Parteitag nicht zerlegen. Es wird auch keine erbitterten Flügelkämpfe geben. Ja, in der Sozialdemokratie scheint es momentan gar keine Flügel mehr zu geben, die Debatten initiieren und zuspitzen können. Und es ist kaum vorstellbar, dass diese intellektuell so müde Partei stellvertretend für die Gesellschaft Debatten um Staat und Markt, Ökologie und Wachstum zu führen vermag.

Die SPD droht an einer geschäftsmäßigen Vernünftigkeit zu ersticken, an einem undeutlichen "Ja, aber", das nie ganz falsch ist. Aber es steht in einem bizarren Kontrast zu der existenziellen Gefahr, in der sie sich befindet.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

3 Kommentare

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  • W
    Wolf

    Die wahren Schläfer und Verlierer für die kleinen Leute im Volk sind die Delegierten auf dem Parteitag, die einen derartig vorbelasteten Vorstand gewählt haben.

    Die Gewählten sind die Macher und Abnicker des größten Sozialabbaues i.d. Geschichte Deutschlands.

    Man erinnere sich, Agenda 2010/Hartz4, Rente mit 67, Praxisgebühr, Kriegseinsätze am Hindukusch,

    Steuergeschenke von über 30 Milliarden a.d. Wirtschaft, etc.

     

    Eine glaubwürdige Erneuerung der SPD hätte mit eindeutiger Abkehr von den unsozialen Gesetzen, mit einer neuen Programmatik und mit neuen, unvorbelasteten Leuten zwingend erfolgen müssen.

     

    Als Belohnung gab es zuvor für den Luser der letzten BT-Wahlen noch den Fraktionsvorsitz für den Macher von Hartz4 u.a. unsozialen Dingen.

    Unglaubwürdiger kann keine Partei mit derartigen Leuten mehr sein!

     

    Das was diese Delegierten durch ihr abnicken, wie schon immer zuvor, auf dem Parteitag praktiziert haben, wirkt in dem soialen Körper wie ein Brechmittel und bedeutet den Untergang der traditionsreichen Arbeiterpartei, der SPD.

  • IN
    Ihr NameH. P. Kastner

    Eine Aufarbeitung sieht nach meiner Meinung anders aus. Mir kommt es so vor, als bestünde in der SPD ein Rede- und Diskissionsverbot, so sprachlos geben sich die Parteioberen, die Landesfürsten, Bezirk- und Kreisherrscher. Die SPD muss wieder zur Basis zurückfinden - dann wird sie für mich wieder wählbar!

    HPK

  • MS
    M. Stocker

    Tja, Herr Reinecke, reichlich spät kommen diese Erkenntnisse. Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass Sie sich vor der Bundestagswahl nahtlos in den Chor der bürgerlichen und rechtssozialdemokratischen Anti-Linkspartei-Zeterer eingereiht haben und es äußerst problematisch fanden, dass innerhalb der SPD schon Unmut an der heiligen Agenda 2010 aufkam. Hättense da mal nicht so laut mitgekläfft. Der Zustand der SPD war auch da schon elend, nur hatten da noch einige Führungs-Sozialdemokraten wilde, feuchte Träume vom kommenden Wahlerfolg. Wie soll sich das jemals ändern? Wenn die Taz nicht mal die 14 Thesen der Basiskonferenz in Kassel im Wortlaut dokumentiert, und damit auch einer großen Leserschaft zugänglich macht?