Kommentar Russland: Wunschkandidat aus dem Apparat
Mit Medwedjew schlägt Putin einen Nachfolger vor, der keinem wirklichen Flügel zuzurechnen ist - und deshalb keine Gefahr für Putin ausstrahlt.
E igentlich wollte Wladimir Putin erst auf dem Kongress der Kremlpartei "Vereinigtes Russland" nächste Woche seinen Thronfolger präsentieren. Doch nun hat das Rätseln fürs erste ein Ende. Mit dem ersten stellvertretenden Vizepremier Dmitrij Medwedjew hat Putin einen Kandidaten ernannt, der von Anfang an zu den beiden engeren Favoriten gehörte.
Auf den ersten Blick überrascht die Ernennung, denn der langjährige Vertraute Putins fällt heraus aus dem Kreis der Falken und Hardliner, die aus Sicherheitsstrukturen und Geheimdienst in den Kreml gelangten. Medwedjews sanftes und vorsichtiges Auftreten kennzeichnet ihn eher als Antityp der in Russland herrschenden Elite. Es wäre allerdings falsch, in seiner Wahl eine Richtungsentscheidung zu vermuten. Medwedjew mag ein paar liberalere Ansichten vertreten als die sowjetisch geschulten Geheimdienstkader. Aber er ist bei weitem kein Liberaler, der Russland auf den Weg der Reformen zurückführt und auf den geschleiften Fundamenten der Demokratie eine neue Perestroika in Angriff nehmen würde.
Klar, Medwedjew mag den dröhnenden Umgang der uniformierten Kremlclans meiden. Dennoch ist er ein Mann des Apparats und Kremlchef Putin loyal ergeben. Sollte er eine alternative Sicht der Welt haben, so hätte er in sieben Dienstjahren gegen seine Auffassungen gehandelt. Den Abbau der Meinungsfreiheit hat er als Gasprom-Media Supervisor genauso mitbetrieben wie die Errichtung der "Vertikale der Macht". Im Kreml gibt es keine politisch ideologischen Fraktionen mehr. Dort gibt es nur noch unterschiedliche Wirtschaftsinteressen.
Medwedjew ist ein Kompromisskandidat, der keinem der Clans im Kreml zuzurechnen ist. Der Kreis der "silowiki"- der Sicherheitsstrukturen - hat durch die Ernennung keine wirkliche Niederlage erlitten. Wladimir Putin wird als Regulierer weiterhin die Strippen ziehen. Denn Medwedjew ist von den Kandidaten, die in die engere Auswahl kamen, der ungefährlichste. Er ist weder machthungrig, noch verfügt er über einen ausgeprägten eigenen Willen oder besonderes Geschick als Organisator. Kurzum, ein geborener weil treuer Nachfolger.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis