Kommentar Rot-Rot-Grün: Mut zum Widerspruch
Die Absage der SPD, bis 2013 im Bund auf eine Zusammenarbeit mit der Linken zu verzichten, ist fragwürdig. Es fördert die Chancen von Union oder FDP auf eine Regierungsbeteiligung.
Auf ihrem bevorstehenden Parteitag wird die SPD auf Wunsch ihres Spitzenkandidaten beschließen, nicht nur nach der Bundestagswahl in diesem Jahr, sondern bis 2013 jeder Art von Zusammenarbeit mit der Partei Die Linke auf Bundesebene eine klare Absage zu erteilen. Ich kenne viele, sehr viele SPD-Kollegen, die diese Ausschließeritis für falsch halten. Denn so steht schon vor der Wahl fest, dass entweder Union oder FDP oder beide der nächsten Regierung angehören werden und sich daran bis 2013 nichts ändern kann.
Höchstwahrscheinlich bleibt Merkel Kanzlerin, die Frage ist nur, mit welchem Juniorpartner. Oder es kommt - eher unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich - zu einer Ampelkoalition. Aber auch dann sitzt mit der FDP eine Partei am Kabinettstisch, in der es nur so wimmelt von Lobbyisten privater Krankenversicherungen, der Finanz- und der Energiewirtschaft. Ein Politikwechsel wäre kaum zu erwarten.
Viele in der SPD bedauern, ja bejammern dies - hinter vorgehaltener Hand. Und wenn ich sie frage, warum sie denn nicht die Kritik am Kurs ihrer Oberstrategen veröffentlichen und beim SPD-Parteitag Änderungsanträge stellen - so wie wir Grüne das getan haben - dann bekomme ich oft zu hören: "Eigentlich hast du ja recht, aber …" Diese Aber-Argumente kenne ich aus der innergrünen Diskussion. Eine Kostprobe: "Wir müssen Geschlossenheit zeigen." "Wir dürfen unsere Spitzenkandidaten nicht beschädigen." "Dann würden die Medien nur über unseren Streit und die Farbenspiele berichten - und nicht über unsere Inhalte." Argumente, die durchaus bedenkenswert sind, aber in der Summe zu verfälschten Ergebnissen führen, wenn viele dahinter ihre eigene tiefere Überzeugung verbergen.
Bisher scheint Dr. Wolfgang Wodarg der einzige SPD-MdB zu sein, der zu dem steht, was er denkt, und mit seinem Kreisverband Flensburg auf dem SPD-Parteitag einen Antrag stellt, der den Koalitionskurs der Parteispitze infrage stellt.
Bei der Linkspartei sieht es ähnlich aus. Dort ist Kritik am Kurs der Oberstrategen - die auf Fundamentalopposition setzen und lieber in der Krise neue Mitglieder rekrutieren wollen, als ihre Partei durch kompromissorientierte Realpolitik einer Zerreißprobe auszusetzen - nur von denen zu hören, die nicht wieder aufgestellt worden sind und/oder ihre Partei oder Fraktion verlassen haben.
Aber auch in der Bundestagsfraktion der Linkspartei gibt es viele, die die Kooperationsunwilligkeit ihrer Führung für falsch halten.
Wollen wir wirklich solidarische und ökologische Antworten auf die multiplen Krisen dieser Zeit geben und die Regierungsgarantie für CDU/CSU und/oder FDP beenden, dann führt früher oder später an einer Zusammenarbeit von SPD, Grünen und Linkspartei kein Weg vorbei.
Als Entwicklungspolitiker habe ich Gesichter vor Augen, wenn ich höre, dass allein aufgrund der aktuellen Weltwirtschafts- und Finanzkrise weitere 60 Millionen Menschen unter das physische Existenzminimum gedrückt wurden. Angesichts dieser großen Herausforderungen können wir uns Ignoranz, Ausschließeritis und ergebnislose Fundamentalopposition nicht mehr leisten, ohne uns an den Opfern einer ungeregelten Globalisierung zu versündigen.
Als jemand, der aufgrund enger Kontakte zur kirchlichen Friedensbewegung in der DDR ("Schwerter zu Pflugscharen") mit lebenslänglichem Betretungsverbot des Unrechtsstaats belegt wurde, weiß ich, dass die Linkspartei noch ihre SED-Vergangenheit aufarbeiten und sich von ideologischem Ballast trennen müsste. Aber dazu sollte man sie herausfordern und anspornen, anstatt sie wie Schmuddelkinder zu behandeln und auszugrenzen - so wie einst die Grünen.
Die SPD ist dabei, die Fehler aus der Vergangenheit zu wiederholen und ihre Zukunft zu verspielen. Diejenigen, die dies genauso sehen - und ich glaube, es sind viele - sollten nicht länger schweigen.
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