Kommentar Rentenfrage: Zustände wie in der SPD
Wenn es um die Rente geht, reagiert die CDU so konfus wie man es sonst nur von den Sozialdemokraten kennt. Der Grund: Sie hat kaum noch Experten, die sich mit Sozialpolitik auskennen.
Ralph Bollmann ist Leiter im taz-Inlandsressort.
In der Rentenfrage geht es bei der CDU derzeit zu wie sonst nur bei den Sozialdemokraten. Da werden alte Parteitagsbeschlüsse hervorgekramt. Es wird erörtert, wer wann unter welchen Umständen bestimmten Programmpapieren zugestimmt hat. Schließlich beschwören die Kontrahenten sogar Grundprinzipien der christlichen Soziallehre, von denen man schon fast vergessen hatte, dass es sie gab. Fast so, wie es die SPD mit dem demokratischen Sozialismus hält. Das ist ungewohnt in einer Partei, die ihre größten Erfolge als weitgehend programmfreier Kanzlerwahlverein feierte. Und die prompt in eine Krise stürzte, als ihr die Vorsitzende Angela Merkel auf dem Leipziger Parteitag 2003 eine allzu enge Programmatik verordnen wollte.
An den Folgen von Leipzig aber laboriert die Partei immer noch. Es war machttaktisch geschickt, dass die Kanzlerin nach dem enttäuschenden Ergebnis der letzten Bundestagswahl öffentliche Wahlanalysen vermied und programmatische Korrekturen nur unausgesprochen vollzog. Doch die Partei ließ sie damit völlig orientierungslos zurück, wie der Streit über die Mindestrente jetzt zeigt. Was gilt denn nun: die Leipziger Beschlüsse, die formal niemals aufgehoben wurden? Oder die Strategie, die Agenda-SPD links zu überholen und im Verein mit der Linkspartei wahltaktisch in die Enge zu treiben?
Zur programmatischen Verwirrung kommt die personelle Ausdünnung. Der Kompetenzverlust in der Wirtschafts- und Finanzpolitik wird oft beklagt, aber in der Sozialpolitik sieht es kaum besser aus. Bis auf den NRW-Sozialminister Karl-Josef Laumann wissen die meisten Kontrahenten gar nicht so genau, wovon sie reden. Die leidigen Themen Finanzen und Soziales hat die CDU bereitwillig der SPD überlassen. Jetzt profiliert sie sich lieber mit moderner Familienpolitik, moralischer Diplomatie oder weltweitem Klimaschutz, was bislang glänzend funktionierte und im Übrigen perfekt zu möglichen Koalitionen mit den Grünen passt. Das Problem ist nur: Anders als der neue Hamburger Bündnispartner hat die Volkspartei CDU keine postmaterialistische Wählerschaft. Auch das hat sie mit der SPD gemein.
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