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Kommentar Rente mit 67Eine Lösung zulasten der Akademiker

Ulrike Herrmann
Kommentar von Ulrike Herrmann

Bisher wird die Rente strikt nach Altersgrenze gezahlt. Künftig muss es nach Leistungsfähigkeit gehen. Wer krank oder erschöpft ist, darf aufhören - ohne Abschläge.

D emografische Katastrophe - diese Metapher des Grauens soll erklären, warum die Rente mit 67 unbedingt eingeführt werden muss. Der Grundgedanke klingt einleuchtend: Wer bloß soll die vielen Alten künftig finanzieren, die zudem immer länger leben, wenn kaum noch Jugendliche nachwachsen? Also müssen die Alten eben weiter arbeiten und sich selbst ernähren, ist doch logisch.

Allerdings ist Logik stets tückisch, kommt es doch immer auf die Annahmen an. Bei der Rente mit 67 wird unterstellt, dass die Alten arbeiten könnten, wenn sie nicht schnellstmöglich in das Paradies der Faulheit streben würden. Diese regierungsamtliche Annahme hat sich als empirisch falsch herausgestellt. Ältere Arbeitnehmer sind nicht begehrt. Die meisten verharren in einer verdeckten oder offenen Arbeitslosigkeit.

Die Bundesregierung weiß natürlich selbst, wie geschickt sie ihre Zahlen gewählt hat, um die grassierende Unterbeschäftigung bei den über 60-Jährigen zu verdecken. Aber sie hat ein höheres Ziel: Sie will unbedingt die Sozialabgaben für die Unternehmer drücken. Dieses Ziel verfolgt sie bei der Gesundheitsreform, die die zusätzlichen Krankheitskosten allein den Arbeitnehmern aufbürdet. Und diese Ziel wird bei den Rentenkassen angestrebt, indem die Leistungen für alle Neu-Rentner gekürzt werden. Denn nichts anderes bedeutet die Rente mit 67: Sie erhöht nur die Abschläge, wenn man früher aus dem Beruf aussteigt. Sei es wegen Krankheit oder Arbeitslosigkeit.

Die Gewerkschaften haben also recht, wenn sie die Rente mit 67 als ungerecht einstufen. Aber ihre Analyse gilt nur für die Gegenwart. Ab dem Jahr 2020 wird sich Deutschland auf die Vollbeschäftigung zubewegen - gerade wegen der "demografischen Katastrophe". Die Jungen werden die gesamte Volkswirtschaft nicht mehr bewegen können - und dann wird sich natürlich die Frage stellen, warum man Menschen eine Rente zahlen soll, die auch jenseits der 65 noch arbeiten könnten. Diese Frage wird vor allem Akademiker treffen, die oft auf Posten sitzen, die nicht so anstrengend sind, wie Dächer zu decken oder Alte zu pflegen.

Ulrike Herrmann ist wirtschaftspolitische Korrespondentin der taz.

Bisher wird die Rente strikt nach Altersgrenze gezahlt. Künftig muss es nach Leistungsfähigkeit gehen. Wer krank oder erschöpft ist, darf aufhören - ohne Abschläge. Wer noch gesund ist, muss bis 67 weitermachen. Dieses Kriterium aber würde pikanterweise vor allem die selbst ernannten "Leistungsträger" treffen.

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Ulrike Herrmann
Wirtschaftsredakteurin
Der Kapitalismus fasziniert Ulrike schon seit der Schulzeit, als sie kurz vor dem Abitur in Gemeinschaftskunde mit dem Streit zwischen Angebots- und Nachfragetheorie konfrontiert wurde. Der weitere Weg wirkt nur von außen zufällig: Zunächst machte Ulrike eine Banklehre, absolvierte dann die Henri-Nannen-Schule für Journalismus, um anschließend an der FU Berlin Geschichte und Philosophie zu studieren. Sie war wissenschaftliche Mitarbeiterin der Körber-Stiftung in Hamburg und Pressesprecherin der Hamburger Gleichstellungssenatorin Krista Sager (Grüne). Seit 2000 ist sie bei der taz und schreibt nebenher Bücher. Ihr neuester Bestseller heißt: "Das Ende des Kapitalismus. Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind - und wie wir in Zukunft leben werden". Von ihr stammen auch die Bestseller „Hurra, wir dürfen zahlen. Der Selbstbetrug der Mittelschicht“ (Piper 2012), „Der Sieg des Kapitals. Wie der Reichtum in die Welt kam: Die Geschichte von Wachstum, Geld und Krisen“ (Piper 2015), "Kein Kapitalismus ist auch keine Lösung. Die Krise der heutigen Ökonomie - oder was wir von Smith, Marx und Keynes lernen können" (Piper 2018) sowie "Deutschland, ein Wirtschaftsmärchen. Warum es kein Wunder ist, dass wir reich geworden sind" (Piper 2022).

6 Kommentare

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  • F
    franziska.qu

    @ Karslruher: ganz banal, der Rentenkasse wird zukünftig immer wieder Geld fehlen. Wie wärs mit diesem als Ursache: Beiträge aus Lohneinkommen sind die wichtigste Einnahmequelle der Rentenversicherung; aber: Niedrigstlöhne = niedrige Beiträge in die Rentenversicherung = weniger Grundstock/Geld fehlt = Beitragserhöhung / Zusatzversicherung / höheres formales Renteneintrittsalter.

    Erstaunlicherweise wird über fehlende Einnahmen aufgrund der Niedrigstlöhne, in Politik und Medien wenn überhaupt, dann lediglich verklausuliert, gesprochen. SPD und Grüne haben die Niedrigstlöhne initiiert in ihrer Regierungszeit, CDU/CSU und FDP führen sie erfreut fort. Der DGB hat mit seiner Mindestlohnkampagne ja im Grunde die Niedrigstlöhne akzeptiert (Pflege z.B.: 8,50€ West = bei einer 40 Std. Woche 1360,-€ Brutto; Ost = 7,50€)und sitzt bei den Parteien mit im Boot. Die Leidtragenden sind die Menschen, die trotz aller schönen Statistiken der Frau Leyen (erinnert deren Statistik nicht an die bereinigte Arbeitslosenstatistik?) nicht bis 67 Vollzeit arbeiten werden können . Und so erzeugen unsere jeweiligen Regierungen mit ihren Taten die Probleme, für deren Beseitigung sie später Handeln zu müssen vorgeben.

  • K
    Karlsruher

    Die liebe Frau Herrmann verstrickt sich hier in bizarre Verschwörungstheorien (liegt vielleicht am Nachnamen) und schafft es dabei, mit links die Tatsache zu ignorieren, dass die Ruhestandszeit durch die höhere durchschnittliche Lebenserwartung steigt.

    Tatsächlich ist die durchschnittliche Rentenbezugsdauer einer westdeutschen Frau von 13,8 Jahren (1980) auf 19,4 Jahre (2007) gestiegen.

    Vielleicht sind ja Fakten irritierend, wenn man die schwarz-gelbe Regierungszeit nutzen möchte, sich an der Welt an sich abzuarbeiten, aber zur Kenntnis nehmen wäre doch schon drin, oder?

    Und vor allem: Gegenvorschläge sind willkommen.

  • S
    sandramo

    Nun, die im Kommentar genüßlich bespöttelten Leistungsträger zeichnet eines aus: Der Wille, Leistung zu erbringen, da wo einen das Leben hinstellt und so lange es geht. Insofern ist es für sie kein Problem, länger zu arbeiten. Der Spott fällt auf den zurück, der ihn äußerte.

  • W
    Wolfgang

    Die Produktivkraftentwicklung bzw. die Entwicklung der Produktivität und realen(Mehr-)Wertschöpfung macht es heute bereits möglich, nach 30-Vollzeit-Arbeitsjahren, aus abhängiger Lohnarbeit, ohne Rentenkürzungen, in die Altersrente zu gehen. Analog: Bei einer 30-Std.-Woche und nach 40-Arbeitsjahren wäre die Altersrente - ohne Kürzung - möglich. Diese objektive Wahrheit ist nicht nur beim Quandtschen und Hundtschen BDI-BDA-DIHK-Banken-Kapital, sondern auch bei deren partnerschaftlichen Systemgewerkschaften und spezialdemokratischen Konvergenzfunktionären bekannt. Sie sind auch Teil des gesellschaftspolitischen Problems, bei der überlebensnotwendigen Überwindung und Aufhebung der bestehenden imperialistischen Gesellschaftsordnung, der Atom- und Germania AG.

  • HW
    Hans Wolter

    Das ist hübsch gedacht, verfehlt aber die Wirklichkeit. Altersgerechte Arbeitsplätze sind ein Privileg, Frau Herrmann, dass Akedemiker immer häufiger auch gerne jenseits der 65 nutzen möchten, bisher her aber wird es ihnen rechtlich und faktisch verwehrt.

    Für die Älteren geht es vor allem um die Humanität des Arbeitslebens, nicht zuletzt auch um die Würde.

    Die Umgestaltung der Arbeits- und Produktionsprozesse durch Rationalisierung hat zu inhumanen, häufig auch rechtlich und politisch würdelosen Arbeitsbedingungen geführt. Leider passen sich gerade viele Jüngere an und bedenken nicht die lange Wegstrecke jenseits des 55sten Geburtstages.

  • A
    angelina

    Wieso geht es mit der Rente oder Pensionen (die Pensionskosten werden früher oder später sowieso jeden Haushalt sprengen) nicht nach der Lebensarbeitszeit? Ein Handwerker, der mit 14 in die Lehre kam und bis zum 60. Lebensjahr stramm 46 Jahre durchgearbeitet hat, geht mit nicht mal 1000 Euro nach Hause. Ein Richter z.B., der mit 30 sein 2. Staatsexamen hingelegt hat und dann einen Richterposten annimmt, kann locker nach nur 30 Arbeitsjahren zwar mit einigen Abschlägen ganz herrlich seine vermutlichen restlichen 40 Lebensjahre ungetrübt durch finanzielle Probleme durchfeiern, wohingegen beim Handwerker davon ausgegangen werden kann, dass er schon nach einigen Jahren den Löffel abgeben wird. Wie wäre es denn, wenn eine Rente oder Pension ungeschmälert nach 45 Arbeitsjahren gezahlt würde? Wäre doch gerecht