Kommentar Regierungsbildung im Irak: Ganz falsches Zeichen aus Bagdad
In Bagdad wird ein Innenminister ernannt, der für die Verschleppung und Ermordung Tausender Sunniten verantwortlich ist.
A lles schaut auf Kobane. US-Flugzeuge haben dort Waffen und Munition abgeworfen, und die Türkei lässt kurdische Kämpfer endlich über die Grenze. So die neuesten Erfolgsmeldungen im Krieg gegen die Milizen des Islamischen Staates (IS). Fast könnte man glauben, der Krieg wäre mit dem Halten von Kobane, wochenlang zur Entscheidungsschlacht hochstilisiert, fast gewonnen.
Unterdessen wird der viel wichtigere Kampf, der politische, derzeit in Bagdad verloren. Denn dort wurde soeben ein neuer Innenminister ernannt. Muhammad Gabban, sein Name ist kaum bekannt. Viel wichtiger ist, dass der Mann, der nun für die innere Sicherheit des Landes zuständig sein soll, von den schiitischen Badr-Milizen stammt, die im irakischen Bürgerkrieg 2009 für den Tod und die Verschleppung von Tausenden Sunniten verantwortlich waren.
Zu Grabe getragen wird damit die Idee, in Bagdad eine Einheitsregierung zu bilden, die die Sunniten mit an Bord nimmt, um so einen politischen Keil zwischen sie und die IS-Milizen zu treiben. Eine Strategie, die mehr erreichen würde als hundert US-Kampfjets zusammen. Denn letztlich können nur die Sunniten selbst die IS nachhaltig loswerden.
Genauso gut wie Gabban hätte man auch einen der IS-Dschihadisten zum neuen irakischen Verteidigungsminister ernennen können.
Stellen Sie sich vor, Sie würden in einem sunnitischen Dorf, etwa in der Provinz Anbar leben, das von der IS kontrolliert wird. Sie mögen die IS nicht besonders und fürchten sich vor ihr. Aber mindestens ebenso viel Angst haben Sie, dass demnächst die regulären irakischen Truppen ihren Ort wieder zurückerobern und dann ein schiitischer Milizionär, mit sunnitischem Blut an den Händen, für Ihre Sicherheit zuständig ist. Für wen würden Sie sich entscheiden?
Korrektur: Aufgrund eines Fehlers der Redaktion – nicht des Autoren – stand im Teaser anfangs versehentlich „Schiiten“ anstelle von „Sunniten“. Wir bitten das zu entschuldigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Krieg in der Ukraine
Russland droht mit „schärfsten Reaktionen“
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Diskussion um US-Raketen
Entscheidung mit kleiner Reichweite