Kommentar Reform zweiter Arbeitsmarkt: Die Chancenarmen bleiben
Die Gruppe der psychisch Angeknacksten und Älteren, die den Anschluss an den ersten Arbeitsmarkt nicht schaffen, wird durch ein neues Gesetz nicht kleiner.
E s ist eine Subkultur der Armen: die Szene der Beschäftigungsprojekte mit ihren Seniorenbegleitern, Suppenküchen und Sozialkaufhäusern. In dieser Subkultur, die früher aus tariflich bezahlten ABM-Stellen bestand und zuletzt nur noch aus 1-Euro-Jobs, gab es ein Dilemma, ein Double-Bind, das sich mit den Jahren verschärfte: Die Teilnehmer an Beschäftigungsmaßnahmen dürfen nur "arbeitsmarktunschädliche" Arbeiten verrichten - also nichts, was auch von einer Privatfirma gegen Bezahlung ausgeführt werden könnte.
Als in Berlin Langzeitarbeitslose die Wände in Klassenzimmern streichen sollten, protestierte die örtliche Handwerkskammer. Also verpflanzte man die Leute in den sozialen Bereich, etwa als Aufpasser auf Kinderspielplätze oder in Secondhand-Kaufhäuser, wo sie gespendete Kleidung umschichteten oder auch nur herumsaßen, weil nicht genug zu tun war. Mancherorts entstanden ebenjene Maßnahmen, denen die schwarz-gelbe Sozialpolitik vorwirft, nicht als "Brücken" in den ersten Jobmarkt zu funktionieren - obwohl sie gleichzeitig von ihnen Wirtschaftsferne verlangt.
Die Bundesregierung will dieses Double-Bind lösen, indem sie den zweiten Arbeitsmarkt durch Kürzungen und ein neues Gesetz abbaut. Das Problem ist nur: Die Gruppe der Bandscheibengeschädigten, psychisch Angeknacksten und Älteren, die den Anschluss an den ersten Arbeitsmarkt nicht schaffen, wird dadurch nicht kleiner. Wohin sollen die Leute gehen? Nach Hause? Auf die Parkbank?
ist Redakteurin für Soziales im taz-Inland-Ressort.
Indem man die Subkultur der Chancenarmen abbaut, ist die Armut noch nicht verschwunden. Die Arbeitslosen werden nur unsichtbarer. Was mal wieder belegt, dass sich die Regierungskoalition für diese Klientel einfach nicht interessiert.
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