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Kommentar Reform zweiter ArbeitsmarktDie Chancenarmen bleiben

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Die Gruppe der psychisch Angeknacksten und Älteren, die den Anschluss an den ersten Arbeitsmarkt nicht schaffen, wird durch ein neues Gesetz nicht kleiner.

E s ist eine Subkultur der Armen: die Szene der Beschäftigungsprojekte mit ihren Seniorenbegleitern, Suppenküchen und Sozialkaufhäusern. In dieser Subkultur, die früher aus tariflich bezahlten ABM-Stellen bestand und zuletzt nur noch aus 1-Euro-Jobs, gab es ein Dilemma, ein Double-Bind, das sich mit den Jahren verschärfte: Die Teilnehmer an Beschäftigungsmaßnahmen dürfen nur "arbeitsmarktunschädliche" Arbeiten verrichten - also nichts, was auch von einer Privatfirma gegen Bezahlung ausgeführt werden könnte.

Als in Berlin Langzeitarbeitslose die Wände in Klassenzimmern streichen sollten, protestierte die örtliche Handwerkskammer. Also verpflanzte man die Leute in den sozialen Bereich, etwa als Aufpasser auf Kinderspielplätze oder in Secondhand-Kaufhäuser, wo sie gespendete Kleidung umschichteten oder auch nur herumsaßen, weil nicht genug zu tun war. Mancherorts entstanden ebenjene Maßnahmen, denen die schwarz-gelbe Sozialpolitik vorwirft, nicht als "Brücken" in den ersten Jobmarkt zu funktionieren - obwohl sie gleichzeitig von ihnen Wirtschaftsferne verlangt.

Die Bundesregierung will dieses Double-Bind lösen, indem sie den zweiten Arbeitsmarkt durch Kürzungen und ein neues Gesetz abbaut. Das Problem ist nur: Die Gruppe der Bandscheibengeschädigten, psychisch Angeknacksten und Älteren, die den Anschluss an den ersten Arbeitsmarkt nicht schaffen, wird dadurch nicht kleiner. Wohin sollen die Leute gehen? Nach Hause? Auf die Parkbank?

Bild: taz
Barbara Dribbusch

ist Redakteurin für Soziales im taz-Inland-Ressort.

Indem man die Subkultur der Chancenarmen abbaut, ist die Armut noch nicht verschwunden. Die Arbeitslosen werden nur unsichtbarer. Was mal wieder belegt, dass sich die Regierungskoalition für diese Klientel einfach nicht interessiert.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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8 Kommentare

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  • H
    hto

    "Chancenarmen" - schon die Konstruktion dieses Wortes zeigt den Wert / die Wertlosigkeit die hinter / in dem Artikel steckt.

  • M
    marikka

    Was man sich bis zur nächsten Bundestagswahl merken sollte: War es nicht die SPD/Grünen-Regierung, die zw 1998 und 2005 diese "Subkultur der Chancenarmen" durch dieverse "Reformen des Arbeitsmarktes" erst erschuf? War die Schaffung eines Niedrigstlohnsektors (sprich: immer ärmer werden trotz Arbeit)nicht ausdrücklich politische Absicht? Und ist das alles nicht erst seit diesem Zeitpunkt Thema? Zur Subkultur der Armen gehören auch die Tafeln. Diese gabe es zuvor nicht usw.Eine spannende Frage, die so nie thematisiert wird: was hat in diesem ganzen Zusammenhang eigentlich die €-Einführung zur Entstehung dieser "Subkultur der Chancenarmen" durch eine exakte Halbierung der Löhne und Sparguthaben einerseits, andererseits durch eine Verdoppelung der Preise, beigetragen?

  • A
    Adler

    Nach meinen Informationen ist das Bild, das die taz zeichnet zu oberflächlich.

     

    Denn es gibt auch viele AkademikerInnen und andere gut ausgebildete Personen, die in sinnlosen 1 Euro-Zwangsarbeitjobs drangsaliert werden, da es einfach viel zuwenig Arbeitsplätze gibt. Und die Leute haben nicht alle Bandscheibenvorfälle o.ä.

     

    Ich fände es mal wichtig, gerade in der taz zu vermitteln, dass heute jeder Mensch in die Arbeitslosigkeit abstürzen kann und das es sich nicht nur um Randgruppen handelt, mit denen z.B. taz-LeserInnen angeblich nichts zu tun haben (diese Suggestion schwingt irgendwie mit).

     

    Die 1 Euro - Jobs sind eine Folge der unsozialen rot-grünen Hartz-IV-Gesetze!

     

    Die menschenunwürdigen 1 Euro Jobs abzuschaffen ist richtig.

     

    ABER:

    Gleichzeitig brauchen wir endlich dringend einen Mindestlohn von 10 Euro. Und für die Leute, für die keine Arbeitsplätze da sind (und das sind jetzt schon mindestens 6 Millionen im arbeitsfähigen Alter) ein bedingungsloses Grundeinkommen, das existenzsichernd ist, so dass man gut davon leben kann. Denn Normalarbeitsverhältnisse sind - u.a. infolge der aufeinanderfolgenden rotgrünschwarzgelben unsozialen Arbeitsmarktreformen, eine aussterbende Einrichtung.

     

    Die technische Rationalisierung, die konsequent Arbeitsplätze vernichtet, geht ebenso immer weiter wie die Stellenstreichungen der Unternehmen, die ihre Aktienkurse dadurch zu verbessern suchen. Und im Zuge der Finanzkrise werden wir auch in Deutschland wohl noch ganz schön was erleben.

     

    Wir sind am Ende nämlich alle GriechInnen!

     

    Nicht wenige Ökonomen sagen eine steigende Arbeitslosigkeit voraus und die jetzigen Arbeitslosenzahlen sind auch schon extrem "geschönt", um nicht zu sagen gefälscht. Der Börsenprofi Dirk Müller spricht von bereits 6 Mllionen Arbeitslosen heute in Deutschland. Und das sind nicht alles seltsame Randgruppen, das sind ganz normale Leute.

  • MM
    max mustermann

    vielleicht wird andersrum ein schuh draus: platz wird für die geschaffen, die auf dem regulären arbeitsmarkt nicht genug geld zusammenbekommen - vielleicht das ganze auch als eine art nach unten durchreichen von jobs, um oben platz zu schaffen.

    weil mehr steuern reinkommen müssen und weniger staatsausgaben geleistet werden sollen.

    wird die nächste regierung schwarz-rot, so lohnt es sich bereits jetzt, vorzubauen für diese zeit mit den dann greifenden udn jetzt absehbaren problemen, stichwort: rezenssion, kreditzinsen und vorbereitung auf schuldenbremsen.

  • A
    Arendt

    "Was mal wieder belegt, dass sich die Regierungskoalition für diese Klientel einfach nicht interessiert."

     

    Und dieser Artikel beweist mal wieder, dass taz-AutorInnen sich für die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens einfach nicht interessieren.

  • A
    anke

    Wenn es nur die Regierungskoalition wäre, die sich für die Chancenlosen nicht interessiert, wäre das ja ganz wundervoll. Dann nämlich bestünde Hoffnung. Hoffnung darauf beispielsweise, dass die Opposition so etwas wie eine Alternative wäre. Leider interessiert sich auch die Opposition nur für sich selbst. Und für die natürlich, die auch ohne Politik alle Chancen haben, weil sie sich einfach nehmen können was sie wollen.

  • H
    Hott

    Seht doch endlich ein das der Kapitalismus die Bevölkerung in Gewinner und Verlierer teilt und lebt damit.

  • W
    Wenstruba

    Findet die TAZ es besser, Arbeitsplätze mit 1,00 EUR zu vernichten oder was soll dieser Bericht? Ich finde es richtig, dass es endlich aufhört, dass 1,00 EUR-Jobber dafür herhalten sollen, was HandwerkeRinnen für viel mehr Geld anbieten und Arbeitsplätze schaffen. Für diejenigen, die sich nicht Arbeitsmarktpolitisch integrieren können, weil sie krank sind, wird es auch eine Lösung geben. Aber der Arbeitsmarkt wird auch nicht besser, wenn diese Leute andere gut bezahlte Arbeitsplätze abschaffen. Ich bin der Meinung, man sollte lieber zu Hause bleibe, nicht arbeiten und warten, bis man richtig für anständige Arbeit bezahlt wird, als sich billigst zu verkaufen. Auch die Klientel, die hier genannt wird, dürfte dann einen gut bezahlten Platz in der Gemeinschaft finden, die Arbeitgeber müssen sie nur lassen.