Kommentar Referendum Europa: Acht Richter und der Souverän
Referenden sind kein Allerheilmittel. Aber angesichts von lauem Infotainment und mächtigen Gerichten, können sie die Bevölkerung für Politik sensibilisieren.
D ie Einwände gegen mehr direkte Demokratie beziehungsweise Volksabstimmungen kommen von zwei Seiten und verfolgen zwei unterschiedliche Ziele.
Da sind die konservativen Lautsprecher aus dem Umkreis der FAZ und der Springer-Presse bis hin zu den Parteiapparaten, die das Volk am liebsten ganz von der Volksherrschaft ausschließen und die „Demo“kratie zur Herrschaft von Regierungen, informellen Klüngeln und Lobbyisten sowie entmachteten Parlamenten umbauen möchten – „Volks“herrschaft light, also ohne Volk.
Diese staatserhaltend auftretenden Akteure warnen vor dem Öffnen der „Büchse der Pandora“, beschwören „das Ende des bisherigen Grundgesetzes“ und phantasieren über „systemfremde Plebiszite“.
ist freier Publizist und lebt in Frankfurt am Main. 2011 erschien im Oktober Verlag der erste Sammelband mit seinen Essays, Kommentaren und Glossen: „Aufgreifen, begreifen, angreifen“.
Argumente und Gegenargumente
Mit solchen Phrasen kann man es kurz machen. Im geltenden Grundgesetz steht die Norm: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volk in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“ Seit nunmehr über 60 Jahren wird der Satz von den Interessierten so gelesen, dass die Gewalt zwar vom Volke ausgehen, aber womöglich nicht oder nur selten zu diesem zurückkommen soll.
Kommt eine Volksabstimmung über die weitere europäische Integration? Mit seinem Vorstoß hat Finanzminister Wolfgang Schäuble eine heftige Diskussion für und wider ein Referendum über die weitere Verlagerung von Kompetenzen von Berlin nach Brüssel ausgelöst.
Dabei verlaufen die Gräben durch die Parteien hindurch - und mancher hält erst gar nichts von der Debatte. Auch die taz streitet über die Vorteile und Nachteile von Volksentscheiden.
Christian Rath sieht in der von Schäuble angestoßenen Debatte vor allem ein Ablenkungsmanöver (taz, 26.6.2012), Tom Strohschneider weist darauf hin, dass Arme selten an Referenden teilnehmen. Volksentscheide können damit zur Privilegiensicherung beitragen (taz, 27.6.2012).
Nicola Liebert hingegen plädiert in einem kommenden Beitrag dafür, nicht alles auf einmal zu wollen: Wir brauchen jetzt eine Wirtschaftsunion, um den Euro zu retten. Diese Union kriegt man niemals mit einem Volksentscheid. Die offensichtlichen Demokratiedefizite der Europäischen Union müssen später angegangen werden.
Die zweite Sorte von Einwänden gegen mehr Demokratie ist dagegen ernst zu nehmen. Tom Strohschneider hat sie in der taz vom 27.6.2012 formuliert. Sein Argument, dass sich bei Volksabstimmungen besitzende und gebildete Schichten über- und arme und ungebildete Bevölkerungsteile unterproportional beteiligen und Volksabstimmungen so zur „Privilegiensicherung“ betragen können, ist nicht von der Hand zu weisen.
Das liegt aber nicht am System der Demokratie und deren Mittel – den Volksabstimmungen, Referenden und Gesetzesinitiativen von unten –, sondern an der Wahlabstinenz (in Frankreich 44 Prozent) der politisch Ermüdeten und sozial Abgehängten. Und ein Hauptgrund dafür ist die Art und Weise, wie Politik gemacht wird – von Parteien, Regierungen, Parlamenten und den demokratisch unzureichend legitimierten „Räten“, „Troikas“ und „Kommissionen“ in Brüssel.
Diese Institutionen regieren quasi-souverän am Volk vorbei und machen die Rechte des Parlaments zur Farce und die Parlamentarier in den Einzelstaaten wie in Straßburg zu lächerlichen Pappkameraden, die man fast nur noch zum Abnicken der Entscheidungen von Regierungen, Räten und Kommissionen braucht.
Die Verantwortung der Medien
Die direkte Demokratie ist kein Allheimmittel gegen alle Gebrechen und Defizite der parlamentarischen Demokratie, des Parteiensystems und der mächtigen Bürokratien. Aber Volksabstimmungen, Referenden und Initiativen können dazu beitragen, das Wahlvolk für politische Probleme und Lösungen zu sensibilisieren. Eine Gewähr dafür gibt es nicht.
Vieles hängt auch von funktionierenden Öffentlichkeiten und einer bunten Medienlandschaft ab. Was Letzteres betrifft, so stehen die öffentlich-rechtlichen Anstalten in der Pflicht, verraten diese aber mit ihren seichten Unterhaltungsprogrammen, ihrer exorbitanten Sportberichterstattung und ihren lächerlichen kulturellen Alibiveranstaltungen sowie ihrem politischen Konformismus und ihrer Anpassung an die Standards der Privatsender. Viele der früher dem Qualitätsjournalismus verpflichteten Lokal- und manche Tageszeitungen gleichen immer mehr Boulevardblättern.
Eines bewirken die Instrumente der direkten Demokratie mit Sicherheit – und schon das genügt als Motiv für deren Stärkung: Wo das Volk das letzte Wort bekommt – wenn es dies will – wird weniger und langsamer regiert und legiferiert.
Schnellschüsse wie der ermäßigte Mehrwertsteuersatz für die Hotellerie oder die Streichung der Subventionen für erneuerbare Energien würde sich eine Regierung dreimal überlegen, weil sie damit in einer Volksabstimmung ebenso auf die Nase fallen könnte wie jüngst mit Schweinsgalopp-Entscheidungen zur Rettung von privaten Banken beim Verfassungsgericht in Karlsruhe. Aber acht Richter sind auf Dauer kein Ersatz für eine lebendige Demokratie.
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