Kommentar Rechtspopulisten-Treffen: Gegen den vermeintlichen Feind
In Koblenz setzen Rechtspopulisten den Auftakt für das europäische Wahljahr. Es ist ihnen mehr als ernst. Und so ernst sollte man sie auch nehmen.
E ine Szene in der Morgendämmerung an der Polizeiabsperrung vor der Rhein-Mosel-Halle in Koblenz: Zwei ältere Besucherinnen warten auf Einlass zum „Europe of Nations and Freedom“-Treffen der europäischen Rechtspopulisten. Beiläufig streift ihr Gespräch das Thema der ausgeladenen Journalisten. Nach wenigen Sekunden ist das einstimmige Urteil gefällt: „Alle gleichgeschaltet.“ So weit, so erwartbar.
In der Halle dann herrschte eine andere Morgendämmerung, die ihrerseits genauso erwartbar war: die einer nationalstaatlichen Revolution – welche, glaubt man den Protagonisten des europäischen Rechtspopulismus, kurz bevorsteht. Schwere rhetorische Geschütze wurden aufgefahren: Von Tyrannei, Befreiung und Selbstbestimmung war die Rede. Standardelemente aus dem Propaganda-Baukasten, mit denen Marine Le Pen und Geert Wilders jonglieren, seit sie vor mehr als drei Jahren den Grundstein legten für den großen patriotischen Schulterschluss.
In diesen drei Jahren ist viel geschehen – so viel, dass man gut beraten ist, das Getöse von Koblenz sehr ernst zu nehmen. Die Neigung vieler, sich über den intellektuellen Tiefflug der Veranstaltung, die inhaltliche Vorhersehbarkeit und die dick aufgetragene Inszenierung lustig zu machen, hat hingegen keinerlei diskursiven Nutzen.
Die Frisur von Geert Wilders ist eine Nichtigkeit und darüber hinaus Privatsache. Dass Wilders, den die Umfragen zum Favoriten auf den niederländischen Wahlsieg machen, ankündigte, im Land „klar Schiff machen“ zu wollen, verdient dagegen alle Aufmerksamkeit.
Euphorie und rabiate Angriffslust
Auch wie der FPÖ-Mann Harald Vilimsky verbal auf Gegendemonstranten eindrosch, offenbart ein erschreckendes Niveau. Gleichzeitig berichtete er triumphierend, sein Chef Heinz-Christian Strache weile in Washington, um Kontakte mit der Trump-Administration aufzunehmen. Natürlich ist diese Dynamik bekannt: die AfD-Erfolge auf Landesebene, das Brexit-Referendum, die Wahl Trumps. Es ist offensichtlich, dass es ein inhaltliches Element gibt, das diese Ereignisse verbindet. Zu Recht blicken progressive Kräfte gerade mit Besorgnis auf das halbfertige Drehbuch des Jahres 2017, das Urnengänge in den Niederlanden, in Frankreich und Deutschland vorsieht.
In Koblenz erlebten die Anwesenden, welche Euphorie und rabiate Angriffslust es im Anhang von AfD und FN, PVV und FPÖ auslöst, den Wind der Geschichte in den Segeln zu wissen. Dem Zittern liberaler Kräfte steht Siegesgewissheit der Rechten gegenüber, die Marine Le Pen so ausdrückte: „Jeder von uns, der seine Ziele erreicht, gibt den anderen Hoffnung.“
Nur ein Beispiel, das diese Wechselwirkung belegt: Kurz bevor die Niederländer im Frühjahr 2016 das Assoziationsabkommen zwischen EU und Ukraine ablehnten, besuchte Nigel Farage eine Veranstaltung der Gegner dieses Vertrags, um ihnen Mut zuzusprechen. Unverhohlen äußerte Farage damals die Erwartung, ein Sieg der niederländischen EU-Gegner würde den Brexit-Befürwortern Auftrieb geben. Das Ergebnis ist bekannt.
Es dürfte im Übrigen nicht zuletzt dieser Dynamik geschuldet sein, dass die Parteien, die „Europe of Nation and Freedoms“ bilden, sich nicht etwa in gegenseitigen Konflikten verzetteln, sondern ihre Ambitionen gegen einen vermeintlichen gemeinsamen Feind zu bündeln vermögen.
Die Botschaft aus Koblenz ist deutlich: Es ist den Petrys, Wilders und Le Pens mehr als ernst. Und so ernst sollte man sie auch nehmen – mittels gründlicher Analyse. Was auch bedeutet, in ihrer Rhetorik von „erwachenden europäischen Völkern“ nicht gleich einen neuen Faschismus am Horizont zu sehen, wohl aber eine erschreckende Unempfindlichkeit gegenüber solchen Bildern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Die HTS in Syrien
Vom Islamismus zur führenden Rebellengruppe
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP