Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.
Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?
Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.
@Sarajbosna,
"Nur 50 Jahre nach dem Holocaust, schloß der Westen seine Augen, wie er es auch jetzt tut. Man fragt sich warum? Weil die Mehrheit der Bevölkerung in Bosnien Muslime sind, und Europa einfach keine Muslime duldet!?"
Eine unsinnige Verschwörungstheorie. Das Eingreifen des Westens (wenngleich reichlich spät) nützte ja in allererster Line den bedrohten Muslimen, in zweiter den Kroaten und nicht den Serben, die einen großen Teil der eroberten und "ethnisch gesäuberten" Gebiete wieder räumen mussten. Massaker haben übrigens alle drei Seiten begangen (auch man wenn Anfang der 90er in den Medien von bosniakischen und kroatischen Gräueltaten so gut wie nichts erfahren hat).
Die sechs balkanischen Nicht-EU-Länder haben 18 Millionen Einwohner mit einem kaufkraftbereinigten BIP von weniger als 10.000 $ im Jahr pro Einwohner. Die EU hat über 500 Millionen Einwohner und viermal soviel BIP pro Kopf.
Das Wichtigste, was die Serben, Bosnien und Herzegowiner, Albaner, Mazedonier, Kosovar und Montenegroer brauchten, haben Sie seit ein paar Jahren: den Frieden. Was sie jetzt brauchen, um die Wirtschaft entwickeln zu können, ist politische Stabilität. Sind sie erst einmal in der EU, dann wird sich ihr Lebensstandard innerhalb weniger Jahre verdoppeln und verdreifachen.
Damit wäre allen Menschen in Europa geholfen!
"Der von der internationalen Staatengemeinschaft geschaffene komplizierte Staatsaufbau begünstigt die Herrschaft von Parteien mit verantwortungslosen und korrupten Politikern." - Die EU versteht sich eben auf demokratische Systeme.
Die EU versteht sich eben auf demokratische Systeme ???
Welche Drogen nimmst Du ?
Tja, irgendwann werden die Menschen auf dem Balkan eben drauf kommen, dass das gute alte Yugoslawien eben doch die bessere Variante des Daseins war. Zugegeben, in Yugoslawien war auch nicht perfekt; z.B. die auf dem Balkan traditionellen Konfliktpotentiale wurden mit den Gewehrläufen der Staatsmacht konsequent in Schach gehalten.
Dann gab es in der Zeit nach Tito Bestrebungen einer serbischen Vorherrschaft im Land, die den Staat letztendlich in einen faschistoiden Bürgerkrieg getrieben und in seine heutigen Nachfolgestaaten auseinander getrieben hat, nicht zuletzt auch durch fleißige Einmischung von „außen“, auf Seiten aller beteiligten Bürgerkriegsparteien.
Was aber in Yugoslawien besser war, ein gewisser Wohlstand und über das ganze Land verteilter vergleichsweise hoher Lebensstandard, zwar nicht so hoch wie in Westeuropa, aber wesentlich höher als in den angrenzenden Staaten der sowjetischen Hemnisphäre. Dazu vergleichsweise hohe sozialismustypische Sozialstandards in der medizinischen Versorgung, der Kinderbetreuung, Wohnraumversorgung, Arbeitsplätze usw.
Auch die ethnischen Konflikte waren soweit marginalisiert, dass es z.B. viele "echte yugoslawische" Familien gab; es wurde fleissig über ethnisch-nationale Grenzen hinweg geheiratet. Und nach aussen war Yugoslawien ein verlässlicher politischer und wirtschaftlicher Partner, nach Osten und nach Westen.
Yugoslawien könnte heute noch existieren, eine konsequente Demokratisierung, eine Wirtschaftspolitik der sozialen Marktwirtschaft (Wohlstand und Arbeit für das ganze Land) und eine Verhinderung von ethnisch oder sonstwie undemokratisch begründeten Vormachtstellungen irgendwelcher Machtgruppen, das wäre eine gangbare Lösung gewesen.
Alles schon vergessen, was einmal war ? Nein, noch leben die Angehörigen der Generationen, die das alte Yugoslawien in seinen besten Zeiten live erlebt haben. Da gibt es wertvolles Erfahrungspotential, aus dem man heute wieder etwas machen könnte.
@Tortes Das nennt sich "Yugonostalgie".Wenn sie aus dem Ausland kommt,wirkt es umso romantischer.
Wo haben Sie zu SFRJ-Zeiten südlich von Belgrad "einen gewissen Wohlstand und über das ganze Land verteilten vergleichsweise hohen Lebensstandard" gefunden?
Die Republiken, die den Gesamtstaat wesentlich finanzieren durften, Slowenien und Kroatien, fanden das schon damals nicht besonders lustig.
@Jan Engelstädter Ich meinte einen vergleichsweise hohen Lebensstandard im Vergleich zu den direkten Nachbarstaaten, z.B. Rumänien. Hatte ich auch so geschrieben. Jetzt verstanden ?
20 Jahre nach dem Bosnien-Krieg funktioniert der Staat nicht, weil noch immer keine Verfassung verabschiedet werden konnte und das Friedensabkommen von Dayton noch immer als solche fungiert. Alle Bestrebungen nach vorne zu kommen, werden von den Serben blockiert. Die EU und die USA schauen nur zu und wollen nicht eingreifen, obwohl sie dieses Friedensabkommen kreiert und für die desolate Lage absolut verantwortlich sind. An den Bosniaken wurde ein Genozid verübt, was am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag bestätigt wurde. Die serbische Republik gründet somit auf einem Völkermord, besteht jedoch weiter. Nur 50 Jahre nach dem Holocaust, schloß der Westen seine Augen, wie er es auch jetzt tut. Man fragt sich warum? Weil die Mehrheit der Bevölkerung in Bosnien Muslime sind, und Europa einfach keine Muslime duldet!?
Das Blockade-Problem verschwindet in dem Moment, in dem die Zwangsehe geschieden, d.h. der serbische Teil aus dem Staatsgebiet entlassen wird.
Aber darauf können Sie und ich lange warten - denn das hieße für die Dayton-Garantiemächte ja, das eigene Scheitern einzugestehen.
@Jan Engelstädter Okay, dann scheiden wir die "Zwangsehe", aber der Scheidungswillige zieht dann auch aus der gemwinsamen Wohnung aus !
"…Denn eines ist jetzt schon klar: diese Protestbewegung macht vor allem bei den jungen Leuten nicht vor den sogenannten ethnischen Grenzen halt. …"
da sollten alle alle Daumen drücken;
daß endlich wieder Licht ist am Ende des
Tunnels
und allen Genschmen dieser Welt
- welcher couleur auch immer -
eine lange Nase gedreht wird.
Ich zitier mal einen Vinco Globokar -
" da kommen irgendwelche Gestalten an -
du bist doch auch … usw"
( mein Gott - alle "Nationalitäten" könnt ich familiär nennen)
" ihr habt sie doch nicht alle, … ein finnischer Musiker
paar Türen weiter ist mir doch näher, als ihr Hirnverbrannten."
Vielleicht ist es ja eine besonders perfide Ironie
der Geschichte, daß die latente Lüge Brosz Titoscher
Jugoslavia-Politik erst selbstzerstörisch ad absurdum geführt
werden mußte, um Nikos Kazantzakis - Bruder Mörder -
postWende zu überwinden.
Seit 2021 wurde gegen Lina E. und drei Mitangeklagte wegen Angriffen auf Neonazis verhandelt. Die Bundesanwaltschaft fordert Haftstrafen.
Kommentar Proteste in Bosnien: Gemeinsam gegen Nationalismus
Es könnte heikel werden für die Machthaber: Denn vor allem junge Leute solidarisieren sich über ethnische Grenzen hinweg.
Ein Demonstrant in Tuzla am 6. Februar 2014. Bild: ap
Noch muss man natürlich vorsichtig mit der Beurteilung der Ereignisse in Bosnien und Herzgowina sein. Die Baby-Revolution (Babylution) vom letzten Sommer hat nur wenige Tage angehalten. Doch vieles deutet jetzt darauf hin, dass es sich bei den Demonstrationen und militanten Auseinandersetzungen, die in der Industriestadt Tuzla begonnen haben, nicht mehr um eine Eintagsfliege handelt. Zu viel hat sich bei vielen Menschen angestaut, zu viel an Frustration über die soziale und politische Lage.
Gefährlich für die herrschenden politischen Parteien ist die Verbindung der verzweifelten Arbeiter, die angesichts der hohen Arbeitslosigkeit nichts mehr zu verlieren haben, mit den depravierten Mittelschichten, die selbst an der Armutsgrenze leben. Das Bündnis der Arbeiter mit den Aktivisten der jungen und gut ausgebildeten facebook-Generation, die ebenfalls kaum eine Chance auf einen Beruf oder überhaupt nur einen Job haben, eröffnet eine politische Perspektive.
Denn eines ist jetzt schon klar: diese Protestbewegung macht vor allem bei den jungen Leuten nicht vor den sogenannten ethnischen Grenzen halt. Die soziale Lage bietet den gleichen Zündstoff im serbischen Teilstaat wie in der bosniakisch-kroatischen Föderation. Dass am Freitag Solidaritätsdemonstrationen mit Tuzla, das in der Föderation liegt, in den serbisch kontrollierten Städten Prijedor und Banja Luka stattgefunden haben, ist ein gewichtiges Indiz dafür.
Noch ist das alles nur ein Anfang. Doch für die gesamte Bevölkerung in Bosnien und Herzegowina ist seit Jahren klar, dass sich etwas gravierend ändern muß: das Nachbarland Kroatien ist in die EU aufgenommen worden, mit Serbien verhandelt Brüssel, Bosnien jedoch bleibt draußen und steht kurz vor dem Abgrund. Der von der internationalen Staatengemeinschaft geschaffene komplizierte Staatsaufbau begünstigt die Herrschaft von Parteien mit verantwortungslosen und korrupten Politikern, die von der Situation profitieren und kein Interesse an Reformen haben, die für eine EU-Perspektive notwendig sind.
Es geht jetzt schon nach erst drei Tagen Protest um mehr als „nur“ die soziale Seite des Ganzen. Nichts fürchten die Nationalisten aller Seiten mehr, als wenn sich Menschen aus allen Volksgruppen solidarisieren. Die ethnische Trennung garantiert ihnen bislang ihre Machtstellung. Die Demonstrationen stellen zudem eine schallende Ohrfeige für die internationalen Institutionen in Bosnien dar, die nur ein Interesse an der Ruhe im Land haben, nicht jedoch an dessen Entwicklung. Für die Demonstranten geht es um nichts weniger als um die Zukunft ihres Landes. Und deshalb hat die Protestbewegung Sprengkraft.
Fehler auf taz.de entdeckt?
Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!
Inhaltliches Feedback?
Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.
Kommentar von
Erich Rathfelder
Auslandskorrespondent Balkanstaaten
Geboren 1947 in Bad Berneck im Fichtelgebirge, ist taz-Korrespondent in Südosteuropa, wohnt in Sarajevo und in Split. Nach dem durch politische Aktivitäten in der Spontiszene garnierten Studium der Geschichte und Politik in München und Berlin, nach Absolvierung des I. und II. Staatsexamens und Forschungaufenthalten in Lateinamerika kam er 1983 als West- und Osteuroparedakteur zur taz. Ab 1991 als Kriegsreporter im ehemaligen Jugoslawien tätig, versucht er heute als Korrespondent, Publizist und Filmemacher zur Verständigung der Menschen in diesem Raum beizutragen. Letzte Bücher: Kosovo- die Geschichte eines Konflikts, Berlin 2010, Bosnien im Fokus, Berlin 2010, Schnittpunkt Sarajevo, Berlin 2006.
Themen
Latin@rama: Konfliktbewältigung in Kolumbien
Frieden – ein schwammiger Begriff
Ein Gespräch über Gewalt, gestärktes Menschenrechtsbewusstsein und Schritte zu einer Friedenskultur.