Kommentar Produkte aus Japan: Geigerzähler im Einkaufskorb
Japan droht nach den Katastrophen Erdbeben, Tsunami und GAU ein weiteres Unheil: Niemand will mehr japanische Produkte kaufen, es droht der wirtschaftliche Absturz.
S chon an Tag eins der Katastrophe wurde hartnäckig nachgebohrt, ob der Atom-GAU von Fukushima nicht auch uns gefährden könne. Von beruhigenden Statements ließ man sich kaum beruhigen. Am zweiten Tag begannen die Hamsterkäufe von Grüntee aus Japan. Inzwischen sind die Restbestände der alten Ernte in einigen Fachgeschäften fast ausverkauft. Die Prognose, was mit der neuen Ernte passiert, fällt nicht schwer: Sie wird wie Blei im Regal liegen.
So groß die Solidarität mit Japan sein mag - beim eigenen Einkaufskorb hört sie auf. Gnadenlos konsequent bereiten sich Lebensmittelhändler und Importeure darauf vor, japanische Waren auszusortieren. Schon in den Häfen sollen die Frachter aufgehalten werden. So hartleibig die Menschen über Jahrzehnte die nuklearen Zeitbomben der AKWs ignoriert haben, so panisch reagieren sie jetzt auf alles Japanische. Die Magenwächter von Foodwatch fordern sogar einen kompletten Importstopp, um das "Vertrauen der Bürger zu gewinnen". Radioaktivität kennt kein Erbarmen.
Keine Frage: Auf Japan kommt zusätzlich zur Katastrophentrias Erdbeben, Tsunami, Super-GAU als viertes Unheil der wirtschaftliche Sturz und eine "radioaktive Diskriminierung" zu. Egal, wie hoch die Belastung von Fischen, Tee und anderen Lebensmitteln tatsächlich sein wird - niemand wird sie kaufen.
ist taz-Autor.
In Thailand hat man schon tonnenweise japanische Süßkartoffeln vorsichtshalber "vernichtet", obwohl die gemessene Radioaktivität dafür keinerlei Rechtfertigung bot. In Südkorea laufen Kontrolleure mit Geigerzählern über den Fischmarkt, bei deutschen Händlern meiden die Käufer alles Getier, bei dem "Pazifik" als Fanggebiet vermerkt ist. Und die EU schürt das Misstrauen, indem sie die Grenzwerte für Lebensmittel anhebt - ein Relikt der Tschernobyl-Zeit. An der Börse haussieren VW, BMW und Co., weil Toyota nicht produziert. Börsianer sehen "gute Chancen", die japanische Lücke mit deutscher Wertarbeit zu schließen.
Widerlich? Nein, so funktioniert globale Wirtschaft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Rückzug von Marco Wanderwitz
Die Bedrohten
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül