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Kommentar Pro SchotternEine neue Qualität

Martin Kaul
Kommentar von Martin Kaul

Der Konsens der Kampagne "Castor schottern" war, nicht die Polizei, sondern die Bundesregierung zu attackieren. Es war nur eine Minderheit, die sich nicht an diese Abmachung hielt.

N iemand, der gesehen hat, mit welcher Gewalt die Polizei im Wendland vorging, wird undifferenziert vom "Schottern" schwärmen können - davon, wie beim Protest gegen den Castortransport die Gleisbetten von Steinen befreit wurden. Und man darf nicht verschweigen, dass im Schatten dieser Aktion auch einige militante Autonome Brandsätze warfen und die Polizei heftig angingen. Dennoch gilt: Das Schottern war ein Erfolg. Es hat die Spielräume sozialer Bewegungen erweitert.

Der Konsens der Kampagne "Castor schottern" war, nicht die Polizei, sondern die Bundesregierung zu attackieren. Es war nur eine Minderheit, die sich nicht an diese Abmachung hielt und Polizeiautos in Brand steckte. Die wenigen Bilder davon genügten bereits, um dem Ruf der "Schottern"-Kampagne zu schaden.

Hätte es diese Bilder nicht gegeben, dann hätte man stattdessen gesehen, was sonst noch so im Göhrdewald passierte. Dort gingen über 3.000 Menschen mit erhobenen Händen ruhig auf Polizeiketten zu - und wurden ohne Vorwarnung niedergeknüppelt. Diese Szenen erinnerten mehr an Gandhis berühmten "Salzmarsch" als an autonome Straßenschlachten. In der Strahlkraft solcher Szenen aber liegt das Potenzial solcher Kampagnen des zivilen Ungehorsams.

Bild: taz

Martin Kaul ist Redakteur für "Politik von Unten" bei der taz.

Sich für politische Überzeugungen einzusetzen und dafür eigene Verletzungen in Kauf zu nehmen galt lange nicht gerade als hip. Doch die Schwelle des Politischen hat sich für viele junge Menschen verschoben. Niemand hätte vermutet, dass sich tausende Menschen an einer Aktion beteiligen, die sich moralisch legitimieren, aber juristisch als Straftat einordnen lässt. Das kannte man bislang bestenfalls von Blockaden bei Naziaufmärschen.

Im Wendland zeigte sich eine neue Qualität des zivilen Ungehorsams. Daran lässt sich anknüpfen. Etwa wenn der Bundestag am 26. November sein unsoziales Sparpaket beschließen will und linke Gruppen planen, an diesem Tag das Parlament zu blockieren. Oder wenn der nächste Castorzug kurz vor Weihnachten nach Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern rollt. Nach dem Schottern ist vor dem Schottern.

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Martin Kaul
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6 Kommentare

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  • MK
    Martin Kaul

    @lieselotte meier, @björn kunter

     

    danke für Eure Anmerkungen - ich kann Euch beruhigen: Auf die BILD als Recherchequelle können wir zum Glück weitestgehend verzichten. Wir waren am Castor-Wochenende mit zehn KollegInnen im Wendland im Einsatz, ich habe die Schotter-Kampagne begleitet. Dabei habe ich, südlich der Schienen, ausgehend vom Camp Metzingen, immer wieder Situationen gesehen, bei denen Schotterer mit erhobenen Händen ruhig auf die Polizeiketten zugegangen sind. Unter anderem habe ich auch beobachtet, wie die Polizeiketten - selbst als die Schotterer ihr nur still gegenüber standen - wild auf sie zugestürmt sind und sofort alle Eskalationsmittel eingesetzt haben. Das kann man finden wie man will, war aber so.

    zu der wahrheit dort gehört ebenso der brandsatz auf ein polizei-auto, das, korrekt!, ein räumpanzer war. hier habe ich mich unkonkret ausgedrückt, danke für den hinweis! ob da der reifen oder die lampe gebrannt hat, ist dabei allerdings völlig irrelevant. was soll das denn sonst gewesen sein, wenn es kein brand war? hier halte ich nichts von der allzu instrumentell gepflegten relativierungsrhetorik, wie sie gern bemüht wird.

    was das wiederholungspotential von schottern angeht, teile ich viele der thesen von @björn kunter.

  • A
    Atomkraftgegnerin

    Lieber Karsten,

    woher nimmst du diese Einschätzung? Warst du dabei oder im Planungsteam oder ist das wilde Spekulation? Oder hast du schonmal darüber nachgedacht, dass manche Menschen gewisse Dinge wie z.B: ein Gleisbett schottern nicht machen, weil die Polizei sie dann verprügelt sondern, dass sie es machen, obwohl die Polizei sie verprügelt?

    Und wieso wird die Polizei in eine Situation gezwungen, die sie nicht anders regeln kann? Die Polizei kann das sehr wohl anders regeln als mit Prügel und Tränengas. Der Punkt ist, dass sie es nicht wollen um abzuschrecken. Die Unversehrtheit eines Gleisbetts kann ja wohl kaum über die Unversehrtheit von Menschen gestellt werden und damit alles legitimieren.

  • BK
    Björn Kunter

    Lieber Martin Kaul

     

    Ich war mit einer belarussischen Delegation bei der Blockade von X-Tausend und konte daher nicht selber Schottern gehen. Daher habe ich versucht möglichst viele Bilder und Videos von der Aktion zu finden, aber erstaunlich wenig gefunden. Die von Dir beschriebene Szene habe ich leider nicht gesehen. Insofern wäre ich sehr dankbar für alle Hinweise zu entsprechendem (Bild-)Material.

     

    Als Bund für Soziale Verteidigung sehen wir unsere Aufgabe auch in der Weiterentwicklung und Verbreitung der Methoden gewaltfreien Widerstands. Aus dieser Perspektive heraus teile ich Deine Grundthese, dass mit "Castor Schottern" eine neue Qualität gewaltfreien Widerstands erprobt wurde. Ich bin mir jedoch unsicher,

    (a) inwiefern der Versuch geglückt ist,

    (b) welche Veränderungen des Konzepts (mehr Training?, mehr Kontrolle über Bilder?, bis hin zur Inszenierung solcher Ghandianischer Szenen?, Auswahl von Teilnehmenden? etc. nötig wären, damit es glücken kann, oder

    © ob Schottern als Konzept einer Massenaktion überhaupt funktionieren kann.

     

    Ich hoffe sehr, dass eine solche Auswertung in den nächsten Wochen noch folgen wird und die InitiatorInnen und Verantwortlichen von Castor Schottern! an der Weiterentwicklung des Aktionskonzepts arbeiten werden.

     

    Das hier noch viel Spielraum zur Verbesserung ist sollte nicht als Kritik missverstanden werden. Wichtig ist dass solche Lernprozesse stattfinden. Als die 5 Finger Strategie zum ersten Mal von X-Tausendmalquer genutzt wurde, gelangten gerade mal die Hälfte der BlockiererInnen auf die Schiene (und ich fuhr mit einer Platzwunde vorzeitig nach Hause). Auch zwei Jahre später kamen nur ein Bruchteil der von Widersetzen in Hitzacker mobilisierten tatsächlich auf die Schienen und endete für mich stattdessen in der Gefangensammelstelle. Erst die in diesen Aktionen gemachten (bitteren) Erfahrungen und ihr Wiedereinfließen in Aktionsplanung und -Training haben dazu geführt, dass das Durchfließen einer Polizeikette bei Castor und G8 heute mit Leichtigkeit gelingt.

  • E
    egal

    @Karsten, du schriebst:Ich denke es war drauf angelegt dem Land Bilder von prügelnden Polizisten gegen friedliche Menschen zu zeigen, Schotter ausräumen war.....Frage: woher willst du das wissen und warum möchtest du das den Schotterern unterstellen ? Begründe das mal bitte,danach kannste ja wieder deine Uniform anziehen.

  • LM
    lieselotte meier

    lieber martin,

    woher nimmst du eigentlich deine informationen für deine tendenziösen kommentare? aus der bild? erstens: es haben in der göhrde keine polizeiautos gebrannt. es hat das blaulicht eines (!) polizei-panzers gebrannt. warum übernimmst du dieses gerede vom angeblichen ausnahmezustand? (das brennende blaulicht war auch überhaupt nicht in der nähe der schotterer.)

     

    und zweitens: so gandhi-mäßig wie von dir dargestellt war schottern nicht, und das ist auch gut so. es sind nicht 3000 schotterer mit erhobenen händen auf die polizeiketten zugelaufen. was ist das für eine bescheuerte darstellung? das hat mit der realität nichts zu tun! vielmehr haben sich viele gegen die prügelorgien der polizei gewehrt.

     

    gut, dass die 3000 schotterer ihre eigenen erfahrungen gemacht haben und so die pastoralen interventionen von dir besser einordnen können.

  • K
    Karsten

    Also bitte, die Schotterkampagne hat doch genau gewusst wie die Polizei reagiert. Es war geplant eine Straftat zu begehen und die Polizei musste es verhindern, denn ganz im Gegensatz zum Schienen räumen ist es eben relativ aufwendig ein komplett zerstörtes Gleisbett wieder herzustellen.

     

    Ich denke es war drauf angelegt dem Land Bilder von prügelnden Polizisten gegen friedliche Menschen zu zeigen, Schotter ausräumen war zweitrangig. Und das finde ich verwerflich, die Polizei in eine Situation zu zwingen die sie nicht anders regeln kann und das medial auszuschlachten.