Kommentar Private Krankenversicherung: Furcht vor dem Alter
Was über Jahrzehnte hinweg eine illusorische Vorstellung schien, wird nun selbst in den Chefetagen der Versicherungskonzerne debattiert: eine gesetzliche Krankenkasse, in die alle einzahlen.
Würden die privaten Krankenversicherer eine Koalitionsregierung bilden, dann müsste diese jetzt platzen. Denn die größere Partei, in diesem Fall die aktiennotierten Krankenversicherungen, forciert derzeit das Ende ihres Bündnisses.
Die mächtigen Konzerne Allianz, Axa und Ergo erwägen, das über Jahrzehnte lautstark verteidigte System der privaten Krankenversicherungen schlicht aufzulösen. Sie fürchten sinkende Renditen, weil ihre Versicherten altern und immer mehr Leistungen beanspruchen. Deshalb wollen sie ihre Mitglieder in die gesetzlichen Krankenkassen abschieben, um nur das Geschäft mit den lukrativeren Zusatzversicherungen zu behalten.
Das ist bislang zwar nur ein Szenario, das die Versicherungswirtschaft in internen Arbeitspapieren durchspielt. Die 8,6 Millionen Privatversicherten werden nicht von heute auf morgen zum Heer der rund 70 Millionen gesetzlich Versicherten stoßen. Doch was über Jahrzehnte hinweg eine illusorische Vorstellung schien, wird nun selbst in den Chefetagen der Großkonzerne debattiert: eine gesetzliche Krankenkasse, in die alle einzahlen - auch Beamte, Selbstständige und Gutverdienende. Welche Folgen hätte eine Kasse für alle? Befürworter dieses Modells hoffen auf 1 bis 2 Prozent niedrigere Beitragssätze zur Krankenversicherung - also mehr Netto vom Brutto. Zwar sind die privat Versicherten im Schnitt gesünder und wohlhabender als die Mitglieder von AOK, TK oder BKK. Doch sie werden im Schnitt auch älter.
Vieles hängt davon ab, zu welchen Bedingungen gesetzlich und privat Versicherte zueinanderfänden: Welche Leistungen übernimmt künftig meine Kasse, in welchen Fällen werde ich mich zusätzlich versichern müssen? Und: Würde die Bundesregierung die Gelegenheit nutzen, um den ab Herbst von ihr zentral festgelegten Beitragssatz oben zu halten? Dies wäre eine kalte Beitragserhöhung. Es ist also nicht ausgemacht, dass den Beitragszahlern unterm Strich mehr vom Lohn bleibt.
Was nun wieder aufflammen wird, ist die alte Debatte über Bürgerversicherung versus Kopfpauschale. Die privaten Versicherer haben der großen Koalition damit ein weiteres Thema für den kommenden Wahlkampf geliefert. MATTHIAS LOHRE
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!