"Eine angemessene Sicht des deutschen Vertriebenenschicksals kann nur im Kontext der deutschen Vorgeschichte geschehen."
Spielen wir mal den Advocatus diaboli:
Gilt das eigentlich nicht mutatis mutandis auch für die DDR und die Mauer?
Auch die deutschen Kommunisten waren Verfolgte des Nazi-Regimes, auch z.B. Erich Honecker hatte im Zuchthaus Brandenburg gesessen, auch Erich Mielke war vertrieben worden. Trotzdem habe ich von Leuten wie Markus Meckel und Wolfgang Thierse noch nie den Versuch gehört, die DDR, die Mauer und das ganze damit verbundene Leid mit Bezug auf diesen historischen Hintergrund "verständlich" zu machen, etwa durch Darstellung der Familiengeschichte Hilde Benjamins... Erst recht nicht natürlich von den deutschen Konservativen.
Man sollte endlich aufhören, manipulative "Geschichtspolitik" zu betreiben, und einfach versuchen, bescheiden und sorgfältig die Tatsachen darzustellen - selbstverständlich auch die Naziverbrechen im Krieg als Vorgeschichte.
Erika Steinbach hat, womöglich in guter Absicht, den Mund zu voll genommen, als sie das geplante "Zentrum" dadurch europäisieren wollte, dass es sich gleich allen europäischen Vertreibungen im 20. Jahrhundert widmen wollte.
Allein die Geschichte von Krieg und Nachkrieg ist schwierig genug und kaum zu bewältigen. Man muss aber auch zugeben, dass es eine ganze Reihe von Museen, Forschungsinstituten und Gedenkstätten in Europa gibt, die sich mit den Jahren von 1933-1945 befassen, während die Nachkriegsjahre gerne ignoriert, oder etwas einseitig nur als Erfolgsgeschichte dargestellt werden. In diesem Zusammenhang kann man eine Gedenkstätte für die Vertriebenen auch bewusst überfordern, wenn man nicht auch den Bezug auf die anderswo geschehene Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen als Darstellung der Vorgeschichte gelten lässt.
Schliesslich: die Zwangsumsiedlungen der Nachkriegszeit, von denen auch Millionen Polen und Angehörige anderer Nationen betroffen waren, die keinerlei "Strafe verdient" hatten, waren ein Teil der stalinistischen Nationalitätenpolitik, und keineswegs in erster Linie als kollektive Bestrafungsaktion geplant.
Wenn das bei allen guten Absichten nicht deutlich wird, dann ist die ganze Veranstaltung sinnlos. Genausogut könnten wir auch die Mauer wieder zum "antifaschistischen Schutzwall" umdeklarieren, um keine Gefühle bei ihren Erbauern zu verletzen.
Warum sagt man nicht einfach folgendes:
- Nazideutschland hat den Krieg begonnen und ungeheuerliche Kriegsverbrechen begangen.
- Stalins Sowjetunion hat anfangs bei Hitlers Raubzügen mitgemacht.
- Stalin wollte die dabei gemachten Eroberungen 1945 behalten, und dafür wurde Polen durch Zuwachs im Westen entschädigt, mit Zustimmung auch der Westalliierten.
- Deutschland war damals politisch und moralisch in so schlechter Position, dass man froh sein konnte, dass die Alliierten davon immerhin noch etwas übrig liessen.
- Die damaligen Ostdeutschen haben in vieler Hinsicht die Rechnung für das gesamte Land gezahlt - mit ihrer Heimat und ihrem Vermögen, mit ihrer Gesundheit, und viele mit ihrem Leben oder dem ihrer Angehörigen.
- Keineswegs nur die Vertriebenenverbände, sondern westdeutsche Institutionen bis hin zum Verfassungsgericht haben den Vertriebenen unsinnige Hoffnungen auf Rechtsvorbehalte etc gemacht, bis erst bei der Wiedervereinigung ohne Einschränkung dokumentiert wurde, dass das wiederhergestellte Deutschland eben nur ca 3/4 des Vorkriegsstandes umfasste, und das alte Ostdeutschland endgültig abgeschrieben war.
Die Vertriebenen haben sozusagen den größeren Teil der gesamtdeutschen Rechnung bezahlt. Unter diesen Umständen ist es eine Geste des Anstandes ihnen gegenüber, im wiedervereinigten Deutschland in einer Gedenkstätte zu dokumentieren, wie es 1933-1945 dazu kam, was 1945-1949 geschehen ist, und inwiefern die ehemaligen Ostdeutschen für den von ganz Deutschland angerichteten Schaden in Haftung genommen wurden.
Erst wenn man sich darüber in Deutschland wirklich klar ist, hat es Sinn, mit Polen, Tschechen, Russen und anderen darüber zu sprechen, zu erklären, und natürlich auch Einwände zu berücksichtigen. Das wilde Geschrei von links über Revisionismus usw. war hier genausowenig nützlich, wie die oft verbiesterte Haltung - selbst da wo sie recht hatte - von Erika Steinbach als Initiatorin des Gedenkstättenprojektes.
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