Kommentar Piraterie: Piraten greifen an
Die Routen des Welthandels zu überwachen, nicht aber den Welthandel selbst - dies ist ein Widerspruch, der spätestens beim nächsten gekaperten Rüstungsschiff vor Somalia unerträglich werden dürfte.
Dominic Johnson ist Afrika-Redakteur im Auslandsressort der taz.
Militärschutz für Handelsschiffe wird immer wichtiger für den ungehinderten Welthandel. Das zeigt die spektakuläre Entführung eines saudischen Öltankers durch Piraten aus Somalia im Indischen Ozean weit jenseits der somalischen Gewässer. Sie sprengt alle Dimensionen dessen, was EU, Nato und andere Mächte bisher an zu bekämpfender Seeräuberei am Horn von Afrika vermuteten. Somalia, das als erstes Land der Welt vor siebzehn Jahren seinen Staat abschaffte, errichtet nun als erstes Land der Gegenwart informelle faktische Zollgrenzen irgendwo auf hoher See, so weit die Schnellboote der Piraten tragen.
Die internationale Antwort darauf ist bisher rein defensiv. Sie lautet, Frachtschiffen auf immer längeren Routen militärischen Geleitschutz zu bieten. Aber wenn europäische und nordamerikanische Marinesoldaten internationale Handelsschiffe sicher zum Ziel bringen sollen, wird sich schnell die Frage aufdrängen, wer denn da alles geschützt wird. Viele Schiffe zwischen den Kontinenten sind unter Billigflagge unterwegs. Ihre Arbeitsbedingungen unterlaufen jeden Sozialstandard - ganz zu schweigen davon, was alles ohne Kontrolle und eventuell ohne rechtliche Grundlage geladen sein könnte, von illegalem Fischfang aus somalischen Gewässern bis hin zu Panzern für Südsudan auf der noch immer von somalischen Piraten festgehaltenen ukrainischen "Faina".
Soll der möglichst kostengünstige Import von Dumpingprodukten nach Europa aus Billiglohnländern wirklich durch EU-Militäreinsätze auf europäische Kosten erleichtert werden? Und so manche somalischen Piraten legitimieren ihre Überfälle damit, dass illegale Fischkutter aus Europa ihre Gewässer leerfischen.
Die Routen des Welthandels zu überwachen, nicht aber den Welthandel selbst - dies ist ein Widerspruch, der spätestens beim nächsten von Piraten gekaperten und dann von europäischen Soldaten wieder freigekämpften Rüstungsschiff vor Somalia unerträglich werden dürfte. Noch nie war der Zusammenhang zwischen Militärpolitik und Globalisierung so deutlich wie bei den Diskussionen über Somalias Piraten. Man muss ihn mitdenken. Die Piraten tun es.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ende der Faktenchecks bei Meta-Diensten
Nicht abhauen!
Vorwürfe gegen Grünen-Politiker Gelbhaar
Ende einer politischen Karriere
Präsident des Zentralrats der Juden
Ernüchternde Bilanz nach Großdemos gegen rechts
Pressekonferenz in Mar-a-Lago
Trump träumt vom „Golf von Amerika“
Verkehrsranking
Das sind die Stau-Städte
Forderungen von Donald Trump
5 Prozent Verteidigungsausgaben, 100 Prozent Ablehnung