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Kommentar Pfefferspray-EinsatzDer verletzte Polizeistaat

Martin Kaul
Kommentar von Martin Kaul

Es braucht erst zwei wehrhafte Polizisten, die den massiven Einsatz von Pfefferspray am 1. Mai in Frage stellen. Dass es sie gibt, könnte beruhigen. Das macht es aber gerade nicht.

M an weiß ja gar nicht, worüber man sich mehr Gedanken machen soll: Darüber dass mittlerweile Polizisten die besten Kontrolleure der Polizei geworden sind? Oder darüber, dass inzwischen derartig viele Zivilbeamte im Einsatz sind, dass sich die Ordnungshüter bevorzugt gegenseitig verletzen?

Weil Polizisten in zivil am 1. Mai von ihren Kollegen erst mit Pfefferspray, dann mit Fausthieben verletzt worden sein sollen, haben sie nun Anzeige wegen "Körperverletzung im Amt" gegen ihre Polizeikollegen erstattet. Hört sich heftig an. Ist es auch. Denn es brauchte erst die zwei wehrhaften Polizisten, um die Debatte darüber zu ermöglichen, ob der Berliner Polizeieinsatz am 1. Mai mit rechten Dingen zuging.

Das Beispiel zeigt wie schwierig die externe Kontrolle von Polizeieinsätzen ist. In ihrem Live-Ticker am 1. Mai hatte die taz auf taz.de wiederholt von den massiven, teils gerechtfertigten, häufig aber auch unbegründeten Pfeffersprayeinsätzen berichtet, mit denen Beamte ab 22 Uhr am Kottbusser Tor in Berlin auch gegen Schaulustige vorgegangen waren. Polizisten spritzten dabei teils wahllos mit dem aggressiven Spray in die Menge - obwohl die Polizei vor Ort den gesamten Abend über keine einzige Warndurchsage gemacht hatte, die etwa auf die Härte und Unmittelbarkeit des Einsatzes hingewiesen hätte.

Bild: taz

MARTIN KAUL ist taz-Redakteur für soziale Bewegung und Politik von Unten.

Wohlgemerkt: Pfefferspray kommt nicht aus dem Gewürzregal. Der Einsatz des Mittels kann zu bleibenden Schäden der Hornhaut führen. Wer es einsetzt, muss das in jedem Einzelfall begründen können. Stattdessen mussten in Berlin Kreuzberg nach Angaben von Sanitätern mehr als 150 Personen aufgrund von Augenverletzungen behandelt werden – ehe die Polizei dann noch durch das provisorisch eingerichtete Sanitätszentrum stürmte. Was kümmert's uns?

Berlins Polizeipräsident Dieter Glietsch zumindest verteidigte den Einsatz am Montag noch ganz locker und behauptete, das Spray sei nur nach gezielten Angriffen auf Beamte eingesetzt worden. Anzeigen von Betroffenen seien ihm nicht bekannt. Und dann bejubelte er den tollen Polizeieinsatz und die Leistung der Kollegen.

Da hätte er mal lieber genauer hingeschaut. Nur wenige Stunden später hatte er die ersten Anzeigen bereits auf dem Tisch: Von seinen eigenen Leuten.

Kultur der Kontrolle

Nun kann es verschrecken, dass ausgerechnet Polizeibeamte diejenigen sind, die den unverhältnismäßigen Einsatz der polizeilichen Mittel aufklären wollen: Müssten nicht eigentlich zahlreiche Betroffene gute Gründe haben, längst zur Polizei gegangenen zu sein, um Anzeige zu erstatten? Müssten nicht auch Medienberichte eine Wirkung entfalten können, die zumindest zur Reflexion einlädt?

Tatsächlich wird die Beweisführung in diesen Fällen immer schwierig sein: Wer hat schon zufällig gefilmt wie er selbst plötzlich von Polizisten attackiert wird? Wer hat die Chuzpe mit Pfefferspray in den Augen die Kamera noch weiter hoch zu halten? Und wer will beweisen können, dass nicht vorher irgendetwas der Grund für die Attacke gewesen sein könnte? Im Detail ist die Aufarbeitung dieser Polizeieinsätze immer ein Problem. Doch wer am Abend des 1. Mai am Kottbusser Tor seine Augen trotz der pfeffrigen Nebelschwaden offen halten konnte, hat gesehen was da schief lief.

Den Blick dafür wird sich nun auch Berlins Polizeipräsident Dieter Glietsch zumuten müssen. Dass er sich erst von seinen ihm unterstellten Beamten dazu treiben lassen muss, ist peinlich genug. Immerhin aber gibt es diese Kultur der Kontrolle auch innerhalb der Polizei.

Sie müsste eigentlich für Zuversicht sorgen, wenn da nicht noch diese anderen Fragen wären: Wie gesund ist es eigentlich, auf die Selbstreinigungskräfte der Polizei zu vertrauen? Wie viele dieser wehrhaften Polizeibeamten gibt es überhaupt? Und was ja auch mal interessieren würde: Wenn am 1. Mai allein acht Beamte in Berlin durch Pfefferspray verletzt worden sind – zu wieviel Prozent bestand die aufgebrachte Demonstrantentruppe am Kottbusser Tor eigentlich aus Zivilpolizisten? Nicht dass die sich demnächst dann nur noch selbst vermöbeln.

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Martin Kaul
Reporter
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16 Kommentare

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  • Es soll wohl schon als Dienstvergeh3en verfolgt worden sein, wenn ein polizist einen anderen anzeigte.

    Nicht dass das zulässig wäre, sondern weil Vorgesetzte dass einfach so versuchen.

     

    Polizisten gehören zur sozialen und intellektuellen Unterschicht.

    Dr. Brosa sagte einmal, "Die Polizei ist ein Sammelbecken für Asoziale und Kriminelle".

    "Tiere" die im einmal ausgelösten Agressionsrausch "um sich beißen" (schlagen).

     

    Ich will hier App-Programmierer noch einmal an "Sukey" erinnern.

    Eine App mit der Demonstranten in Echtzeit sehen können, wo Polizisten beginnen einzukesseln. Jeder Nutzer gibt solche informationen ein, aber eine Leitstelle, die evtl. selbst den Überblick hat (Balkon, Dach...) gibt die Informationen raus.

    Leider ist Sukey nicht auffindbar.

     

    Desweiteren sollte es Menschen geben die nur zum Zwecke der Dokumentation auf Demos gehen.

     

    Nicht mit dem Smartphone (obwohl so ein Teil mit UHD-Aufnahme wie das Note-3 tagsüber ganz brauchbar sein dürfte), sondern richtigen Camcodern.

    Nicht unbedingt die "Henkel-Cams" für viele tausend Euro, aber eben Camcorder. 16-Fach optischer Zoom sind da eher normal. Da muss man nicht ganz nah ran.

    Auch die Action-Cams sind ideal.

    Ganz nah ran, ist aber eine Möglichkeit mit gutem Mikrofon und Fieldrekorder auch nahen Ton aufzunehmen. Da wo das Smartphone versagt (was ein Polizist der gerade etwas übles sagt hofft), könnte das Gerät noch aufzeichnen.

     

    Ideal natürlich, wenn man alles getarnt am Körper trägt, um so Szenen und Äußerungen einzufangen, die vor sichtbarer Kamera/Mikrofon sonst verhindert würden.

    Evtl. noch so ein Knopf über PMR-Funk im Ohr, über den man als "Spion" dann von einer Zentrale koordiniert zu Brennpunkten gelotst werden kann.

    Alternativ wäre natürlich Mobilfunk mit einer App für Voice-Chat. Auch verschlüsselt mit Einladung wäre denkbar.

     

    So eine App könnte auch solche Kanäle bereitstellen.

  • MM
    Markus Müller

    Ich habe jedenfalls herzlich über diese Nachricht gelacht!Da hat es auf keinen Fall die Falschen getroffen und der 1. Mai hat sich schon gelohnt.

  • R
    Ralf

    Als "Schaulustiger" am 1. Mai zum Kotti?

    Bei allem Unverständnis für Polizeiwillkür: so blöd muss man erst einmal sein.

  • S
    Stefan

    Fällt außer mir eigentlich keinem auf, dass in der TAZ noch NIE die Randalierer, die im Grunde nur den (Rechts-) Staat abschaffen wollen, in Frage gestellt worden sind?

  • N
    Nopse

    Es kommt einem der Kaffee hoch, wenn man die Beweihräucherungen der sogenannten "Ordnungshüter" im Vorfeld des 1. Mai in der gleichgeschalteten Presse verfolgt.

    Von Körting bis Glietsch wollten diese Herrschaften wieder Gewalt sehen, damit Sie ihre Paramilitärs zur Schau stellen Koonten.

     

    Allein die Bevölkerung hat Anteil daran, dass es dieses Jahr friedlicher blieb, weil diese sich nicht provozieren ließen, auch nicht durch die von Körting und Glietsch zwischen die Demonstranten eingeschleusten Zivilagenten.

  • K
    Kamu

    Ich frag mich, was ich eigentlich machen kann, wenn ich von der Polizei aufs Maul gekriegt habe?

    Gehe ich dann zur nächsten Wache und beschwer mich bei den Leuten, die mir eben noch die Faust ins Gesicht gedrückt haben? Oder gibts da so was wie Ombudspersonen?

  • M
    maddin

    Der Umstand, dass sich Polizisten gegenseitig Anzeigen ist leider schon eine Seltenheit. Wahrscheinlich auch nur dadurch möglich, dass die Polizisten, die vermutlich zugeschlagen haben, aus anderen Bezirken oder Ländern kommen und somit kaum die Gefahr besteht einem interenen Gruppenzwang auf der Wache ausgesetzt zu sein. Anders war es schon bei der Geschichte in Halberstadt und der verschleppten Aufklärung, woraufhin ein kritischer Polizist, ich sag mal, umdisponiert worden ist.

    Aktuell ist eine kritische Berichterstattung über polizeiliche Vorgänge in Verden / Oldenburg zu vermerken in der Causa "Weser-Kurier".

     

    Abgesehen davon hat Ben recht. Irgendwer wird hier wieder den Krawallautonomen den Tod wünschen. Aber irgendwer wird auch wieder von polizeilicher Gewalt schwafeln. Irgendwer hat Steine geworfen, irgendwer mit Pfefferspray rumgeschossen. Und wenns schlimm kommt, beschwert sich ein "Unbeteiligter" der angesprüht wurde über die Autonomen, weil die die Polizei provoziert haben und was weiß ich. Irgendwie alles was im KOntext 1. Mai "Auseinandersetzung" diskutiert wird erscheint super trivial. Ansonsten kann ich mir die niedrige Anzeigenrate auch nur damit erklären, dass die betroffenen wahrscheinlich nicht einmal ein vertrauen in die Justiz haben. Sowieso, Systemkritiker habens hier ja nicht leicht.

    Man kann nichts und niemanden trauen und verbleibt im Selbstmitleid und in der Sehnsucht, von der Masse in seinen Forderungen gehört zu werden, auch wenn man diese Masse zugleich verachtet. Da meine ich: Pech gehabt. Die beiden Polizisten die Anzeige erstattet haben wissen es anscheinend besser.

  • V
    Vorp

    Sind die Provokateure wohl nicht schnell genug weggekommen...

  • E
    Ernst

    Eigentlich ganz sinnvoll, wenn wenigstens die Beamten in Zivil auch mal das Pfefferspray zu spüren bekommen. Denn ich glaube noch immer, dass die meisten der Polizisten die am Drücker sitzen selbst gar keine Vorstellungen haben was sie den Leuten dabei antun. Geprügelt wird bisweilen "sanft", das Pfefferspray wird (erfahrungsgemäß) absolut rücksichtslos eingestetzt...

  • PM
    peter meier

    Na hoffentlich stellen die angezeigten Uniformierten gleich eine Gegenanzeige wegen "Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte" oder versuchtem Landfriedensbruch oder Beamtenbeleidigung, wie das bei Anzeigen von Zivilisten gegen Uniformierte oftmals der Fall ist.

     

    Und hoffentlich werden diese beiden gemeingefährlichen Beamten, die da einfach ihre UNiformierten Kollegen hinterrücks angegriffen haben (könnten) schnell verurteilt.

     

    Die Prozess-Statistik gibt der uniformierten Polizei in solchen Fällen schließlich bereits heute zu 99,9% recht!

  • F
    Fragezeichen

    < Wenn am 1. Mai allein acht Beamte in Berlin durch

    < Pfefferspray verletzt worden sind – zu wieviel

    < Prozent bestand die aufgebrachte Demonstrantentruppe < am Kottbusser Tor eigentlich aus Zivilpolizisten?

     

    Dies ist wohl die Ursache für die falschen Zahlen, die von der Polizei regelmäßig über Demoteilnehmerzahlen veröffentlicht werden. Werden 1000 gezählt, waren es laut Polizei nur 400. In Stuttgart 60.000 laut Veranstaltern, laut Polizei 20.000.

  • M
    m.hoberg

    Hm, hat die Leute irgendwer gezwungen, bei der typischen 1. Mai-Randale mitzumischen? Nein? Nun, dann müssen sie wohl auch mit solchen Folgen rechnen, oder? Oder ist es etwa in Deutschland normal, dass jeden 1. Mai hunderte von Fahrzeugen und Geschäften in Flammen aufgehen?

  • P
    Paria

    Genau genommen hat das ganze gar nichts mit Selbstkontrolle zu tun, denn das war ja nicht die Aufgabe der Zivilpolizisten.

    Sie haben einfach nur von ihren eigenen Kollegen "eine auf's Maul" bekommen und da hört dann wohl die Kameradschaft auf.

     

    Das wäre doch eigentlich mal eine vertrauensbildende Maßnahme. Zivilpolizisten werden eingesetzt um ihre Kollegen zu überwachen und ungerechtfertigte Polizeigewalt zu verhindern. Leider nur ein Wunschtraum in diesem Staat, der immer weiter von seinen freiheitlichen, rechtsstaatlichen Idealen abweicht.

  • B
    ben

    Besten Dank. Der Kommentar geht definitiv in die richtige Richtung. Leider ist öffentliche Kritik an der Polizei viel zu selten. Man muss nicht zu vielen Demonstrationen gehen, um zu bemerken, dass sich die Ordnungshüter selten an die Regeln halten. Das Vermummungsverbot ist zum Beispiel ein wunderbares Mittel "gewalttätige Autonome" herbei zu zaubern. Die Beamten müssen bloß anfangen wahllos eine Demonstration zu filmen, was sie eigentlich nur in Gefahrensituationen dürfen, und irgendjemand wird sich diesem Einwirken in seine Privatsphäre mit einem Tuch entziehen wollen. Es gibt keinen besseren Vorwand für die Polizei in den Demonstrationszug einzudringen und die Leute festzunehmen. Nicht erwähnen muss ich, dass alle Leute die im weg stehen mit Knüppelschlägen und Pfefferspray aus dem weggeräumt werden.

    Der Einsatz von Gewalt gehört ganz selbstverständlich zum Repertoire der Polizei. Einen kritischen Umgang mit diesen Misständen sucht man vergebens. Die Presse schweigt es zu meist tot (hier meinen Glückwunsch an den Autor), viel mehr werden unzählige Berichte über angeblich steigende Gewalt gegen Polizisten geschrieben. Auch werden an dieser Stelle bestimmt viele KOmmentare von Menschen folgen, die "linken Gewalttätern" am liebsten noch die Tod wünschen. Will sagen: Die Polizei ist bei Demonstrationen nicht Freund und Helfer, sondern Staatsgewalt im eigentlichen Sinne des Wortes Gewalt. Eigentlich ein Skandal, aber auch nur einer von viele, die hierzulande nicht beachtet wird...

  • DS
    Der Sizilianer

    http://www.amnestypolizei.de/kampagne/forderungen.html

     

    "Individuelle Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte

     

    Unabhängige Untersuchungskommissionen bei Verdacht auf Polizeigewalt

     

    Videoaufzeichnungen auf Polizeistationen

     

    Menschenrechtsbildung für Polizeibeamte"

     

    ... das wär ja schon mal was! Vielleicht nicht alles, aber immerhin ein Anfang - ein offensichtlich dringend notwendiger Anfang ...

  • A
    Andreas

    Wenn es nicht so ernst wäre könnte man darüber lachen!

    Leider wird sich aber auch dadurch nichts ändern und unsere Polizei wird weiter unbegründet darauf los prügeln und somit den Rechtsstaat mit Füßen treten.

    Noch mal zum Verständnis ich rede hier nicht von dem Vorgehen gegen gewaltätige Demonstranten etc. sondern von selbst erlebten Einsätzen unserer Polizei gegen friedliche Demonstranten.

    Genug Beispiele gab es ja im Februar zB. in Dresden zu sehen.