Kommentar Parteivorsitz "Vereinigtes Russland": Putins riskante Machttaktik
Wladimir Putin wurde zum Chef der Kremlpartei gewählt. Um die alten Herrschaftsverhältnisse zu sichern, greift er zu einer Maßnahme, die die Machtlogik unterläuft.
W ladimir Putin wurde zum Vorsitzenden der Kremlpartei "Vereinigtes Russland" gewählt. Glücklich sah der neu gekürte Parteichef nicht aus. Nun war es ja keine Überraschung, somit auch kein Anlass zur Freude, dass die Delegierten den Kandidaten einstimmig ins Amt wählten. So ist es nun mal in der inszenierten russischen Demokratie. Bislang läuft der Machttransfer im Kreml wie am Schnürchen. Mit der Übernahme der Führung in der Partei der Macht ist ein weiterer Schritt der Herrschaftssicherung im Kreml geglückt. Nun steht noch die Wahl des Expräsidenten zum neuen Premierminister Anfang Mai an. Auch da sind keine Unwägbarkeiten zu erwarten.
Die Schwierigkeiten dürften sich erst später - nach und nach - abzeichnen. Wie wird die Doppelspitze aus Kremlchef Dmitri Medwedjew und Premier Putin in einem Land funktionieren, dessen Bürokratie es gewohnt ist, nur einem Herren zu huldigen? Nimmt man die Erklärungen der politischen Elite für bare Münze, so entsteht mit der Aufwertung der Partei durch Putins Leitung sowie des Parlaments ein neues politisches Modell. Dieses kommt der parlamentarischen Demokratie europäischen Zuschnitts schon recht nahe. Das zumindest möchte Moskau westlichen Mahnern gerne verkaufen. Der Form nach mag das sogar zutreffen - der Inhalt sieht jedoch noch anders aus. Weiter ist "das Volk" in Russland nicht der Souverän.
Dennoch birgt die neue Konstruktion eine Chance, die traditionelle russische Herrschaftsstruktur der Pyramide zu überwinden. Um die Herrschaftsverhältnisse des Systems Putin zu sichern, greift dessen Erfinder nämlich zu einer Maßnahme, die die Logik des Machtmechanismus unterläuft. Die "Vertikale der Macht", Markenzeichen des scheidenden Kremlchefs, wird nunmehr nichts weniger als von ihm selbst ausgehebelt. Zwar wurde die gestalterische Wirkung der Vertikale grundsätzlich überschätzt, aber sie sorgte zumindest für eins: Loyalität. Die aber ist bei einer Doppelmacht so nicht mehr möglich. Die Angst vor der Öffnung des Systems könnte damit ungewollt Raum für einen rudimentären Pluralismus schaffen. Aber auch ein Systemkollaps ist nicht ausgeschlossen. Alles ist drin.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!