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Kommentar OstermärscheStatthalter der Sehnsucht

Martin Kaul
Kommentar von Martin Kaul

Die Ostermärsche erscheinen im Occupy-Zeitalter wie ein erstarrtes Ritual aus einer anderen Zeit. Das mag zwar stimmen – aber ist deswegen nichts Schlechtes!

I mmer gleich, so sinnentleerend und ermüdend – mit diesen Worten lassen sich die Ostermärsche der Friedensbewegung in jedem Jahr aufs Neue disqualifizieren.

Denn anders, als es bei den erfolgreichen Protestbewegungen der letzten Zeit – Occupy, Acta, Fluglärm – zu beobachten war, scheint den Ostermärschen nicht in erster Linie ein Anlass, sondern ein Termin zugrunde zu liegen. Als ob es fast egal sei, was die Welt bewegt – einen Krieg gibt es immer irgendwo. Das wirkt seltsam antiquiert, wie ein nacktes Ritual. Wen soll das aufrütteln?

Andererseits: Vor dem Hintergrund all der fest getakteten Osterrituale – Karfreitag Fisch, Ostersonntag Papst, zwischendurch Familienstreit – hat dieses Ritual der Friedensbewegung einen achtbaren Platz in der Feiertagsdramaturgie gefunden: Selbst wenn nur wenige die Friedensfahnen hissen – in der „Tagesschau“, dem Relevanzthermometer der Nation, ist ein fester Platz für den kollektiv artikulierten Pazifismus stets gebucht. So ist das bei Ritualen: Ihre Relevanz ergibt sich durch ihre Existenz.

Bild: taz
Martin Kaul

ist taz-Redakteur für soziale Bewegungen und twittert unter @martinkaul.

In diesem Sinne ist den Ostermarschierern, die in den Zeiten des Kalten Krieges aus ebenso authentischer Erschütterung auf die Straßen gingen, wie sie es heute im Angesicht des Afghanistankrieges oder des Israel-Iran-Konfliktes tun, etwas geglückt, das eine Sonderstellung in der Geschichte der sozialen Bewegungen in Deutschland genießt: Die Pazifisten vom Ostermarschkommando sind so etwas wie die symbolischen Statthalter einer sonst nur selten offen artikulierten Friedenssehnsucht.

Ein fester Platz im öffentlichen Bewusstsein ist ihnen sicher. Jeder darf an Ostern lieber Eier suchen gehen. Aber über die Rituale der Friedensbewegung zu schimpfen, das ist immer gleich: so sinnentleerend und ermüdend.

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Martin Kaul
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4 Kommentare

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  • P
    P.Haller

    Was ist denn nun das Occupy-Zeitalter ??

    Ich lach mich scheckig ! So ein paar Figuren, wie diese Occupy-Lachsäcke kriegen die Ostermarschierer allemal auf die Strassen, ob das nun welche von gestern sind, oder auch nicht. Zumindest bekommt man von denen zu hören, was ihnen am Herzen liegt, von den Occupisten weiss man nur, dass sie 99% sind. Fragt sich nur von wem oder was.

  • S
    Smash_Capitalism

    Der Reality-Check zeigt:

     

    Noch nie gab es soviel Krieg und Terror, der von USA und Europa in aller Welt angezettelt wird.

     

    Noch nie wurde soviel Geld für das Geschäftsmodell Krieg ausgegeben.

     

    In der kapitalistischen Dauerkrise nur logisch - die weitere Verschiebung der Kräfteverhältnisse hin zu den reaktionärsten, brutalsten und am meisten imperialistischen Fraktionen des Kapitals.

     

    Imperialismus ist das höchste Stadium des Kapitalimus!

     

    Eigentlich Anlass genug - nicht für oberflächliche Rituale, sondern zur vollumfänglichen Bloßstellung der imperialistischn Kriegsfürsten und maximalen Widerstand gegen ihre menschenverachtenden Verbrechen!

  • UM
    Ulrike Marie Meinhof

    Einige Tausend gehen jedes Jahr zu Ostern auf die Straße. Mit Schildern und Gitarren, Singsang und Nietenhosen. Vegetarier, Kommunisten, Schriftsteller und Pfarrer, Halbstarke, Studenten, Hausfrauen und wes Geistes Kinder und welcher Gewerkschaft Mitglieder sie noch sind. Drei Tage lang trotzden sie Regen und Wind, Polizeikonvois und nicht endenwollenden Land- und Stadtstraßen. Räuberromantik und das Bewußtsein, für eine gute Sache einzustehen, trösten über die Unbillen des Dreitagemarsches, genannt OSTERMARSCH, hinweg.

     

    Sie sind die Moralisten des 20. Jahrhunderts, die unentwegte Avantgarde;komisch, aber bitterernst; jugendbewegt, aber hochpolitisch; diffamiert, aber zahlreich. Man kann über sie streiten, nicht aber über die Sache, für die sie eintreten: Frieden. Man kann über sie lachen, nicht aber über das, was sie bekämpfen: Den Krieg.

  • TF
    Torben Freiling

    Das ist ja lieblich: die taz klopft den Ostermarschierern auf die Schulter: Oh je, unsere zottelig-trotteligen Freunde aus den Anfangszeiten. Gut, dass wir über Euer Niveau schon lange hinaus sind - aber trotzdem irgendwie schön und anheimelnd, dass es Euch noch gibt.

     

    Jetzt warte ich nur noch darauf, dass solche Töne auch von der Parteiführung der Grünen angeschlagen werden. Überfällig ist es ja schon lange, bei all diesen Mit-Bombardierern, Transatlantikern und Grass-Denunzierern. Aber solange man noch auf ein paar Wählerstimmen aus dieser Richtung hofft, wird das wohl so nicht kommen.

     

    Denn Friedensbewegte sind ja noch immer abonniert auf diese Partei und auf ihr Milieu (taz!). Worüber Fischer, Özdemir & Co. nur schmunzeln können.