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Kommentar Ohnesorg-SchützeVerschwörungstheorie fehl am Platz

Kommentar von Christian Semler

Die Tatsache, dass der Ohnesorg-Schütze Kurras für die Stasi arbeitete, heisst nicht, dass wir unsere Geschichtsschreibung ändern müssen.

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6 Kommentare

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  • G
    G.Meske

    @ Peter Alexa :

     

    Danke Peter für Deinen erfrischenden Humor bei zugleich treffsicherer Beschreibung des bürgerlichen Zeitgeistes.- Da geht man doch gleich gut gelaunt an die Arbeit, den Herrschaften in die Suppe zu spucken ;-)

  • PA
    Peter Alexa

    Die "Enthüllungen" über Kurras' Stasivergangenheit könnten den feuchten Träumen konservativer Historiker entstammen und passen wie der "Arsch auf den Eimer" bürgerlicher Geschichtsschreibung und Geschichtsbewältigung, wie sie im Nachkriegsdeutschland ihre traurige Tradition hat.

    Es steht zu befürchten, dass die nächsten "Enthüllungen" belegen, dass auch Josef Erwin Bachmann Stasiagent war und Adolf Hitler hauptberuflich für den NKWD gearbeitet hat. Dann könnte die Geschichte des letzten Jahrhunderts auf einen Rutsch so umgeschrieben werden, wie sie das Zentralorgan der Hirntoten, die "Bild" ,seit eh und je predigt.

    Beeindruckend finde ich die "neue Sensibilität" konservativer Medien und Politiker, die meinen, dass die Geschichte nach 68 aufgrund von Kurras' Stasivergangenheit neu geschrieben werden muss. Die gleiche Sorte Medien und Politiker, die in den 50er, 60er und 70er Jahren den alten Nationalsozialisten, die in Brigadestärke in Politik, Justiz, Polizei und Wirtschaft neue Karrieren machten, demokratische Gesinnung attestierten und nicht im Entferntesten daran dachten, dass diese Tatsachen Grund für eine Neuschreibung der Nachkriegsgeschichte wären.

    Angesichts der Renegatenoffensive der letzten Jahre, in der Leute wie Götz Aly usw. versucht haben, die Geschichte der 68er aus den Symptomen ihrer individuellen Krankengeschichte abzuleiten und zu interpretieren, passen diese neuen "Enthüllungen" wie die Faust aufs Auge.

    Wenn man eine provokante These aufstellt, die dem herrschenden Zeitgeist den Bauch pinselt, wird diese begierig aufgenommen und entfaltet alleine durch ihre massive mediale Präsenz eine Wirkung, unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt und ihrer Verifizierbarkeit.

    Zum momentan herrschenden Zeitgeist gehört es, jeden emanzipativen Prozess der Nachkriegsgeschichte auf seine Denunzierbarkeit und Umkehrbarkeit abzuklopfen.

  • R
    Rudi89

    "denn die Tat von Kurras ist und bleibt Ausdruck des zur Hysterie gesteigerten Hasses auf die Studentenbewegung"

     

    Genau das eben nicht!! Obwohl Kurras wahrscheinlich nicht auf Befehl der Stasi geschossen hat, kann seine Tat jetzt nicht mehr als Ausdruck einer bürgerlich-braunsumpfigen Progromstimmung gegen die Studentenbewegung gesehen werden.

  • UH
    Urban Hilgers

    Bei solchen Meldungen entsteht schon viel Platz für Munkeln im Dunkeln und Rauschbauschen im Blätterwald.

     

    Der Tod Benno Ohnesorgs (allein schon sein Nachname) ist der Vorfall gewesen, der die ohnehin schon brisante Situation in diesem Sommer 1967 zum kochen brachte. Viele werden heute noch wissen, wo sie waren, als sie hörten, dass in Berlin ein Student namens Ohnesorg erchossen worden war - von der Polizei. Von denen, die als willige Helfer des rückwärtsgewandten Regimes, der schuldig gewordenen Republik wahrgenommen wurden, waren einige in verschiedenen Aufträgen unterwegs gewesen, hatten auf mehr als einer Schulter geladen - nicht nur in Westberlin.

     

    Aber dieser Polizist hatte keinen Auftrag der Stasi, schon gar nicht einen, auf Studenten loszugehen.

     

    Unser Rechtssystem geht von der Unschuld eines Menschen aus - bis zum Beweis des Gegenteils. Dem Polizisten, der geschossen hat, eine andere Motivlage zu unterstellen - aus der vor 32 ein politischer Mord möglich gewesen sein sollte - ist - wohl - nicht beweisbar.

     

    Beweisbar ist allerdings, dass hierzu entstehende Verschwörungstheorien, keinerlei Bezug zur Wirklichkeit haben werden.

  • G
    G.Meske

    In Ergänzung zu der m.E. im Kern richtigen Einschätzung Semlers sei noch darauf verwiesen,daß tatsächlich ein großer Teil der linken Bewegung in der damaligen historischen Situation ganz bewußt eine scharfe Abgrenzung zum sogen. "Modernen Revisionismus" der SED+KPDSU gezogen hatte.-Wären bereits damals die Stasi-Aktivitäten Kurras´ bekannt geworden , so wäre dies vermutlich von den linken Aktivisten lediglich als Beweis für den faschistoiden Charakter sowohl des damaligen Westdeutschen - wie auch des DDR-Staates gewertet worden.- Der eigentliche Verstärker für die zunehmende Bereitschaft zur Anwendung revolutionärer antifaschistischer Gegengewalt seitens der damaligen Linken war nicht die Tötung Benno Ohnesorgs allein , sondern vielmehr die schamlose Vertuschung und Beweismittelvernichtung seitens der Justiz, mit dem Ziel , den Killer-Polizisten als Wachhund der Bourgeoisie um jeden Preis zu schützen. - Ob der nun Stasispitzel gewesen ist , hat praktisch keine Bedeutung , und es ist völliger Blödsinn , wenn Stefan Aust und andere jetzt danach rufen , die Geschichte der "68-er" müsse nach dieser "Enthüllung" neu geschrieben werden. - Das könnte der Bourgeoisie so recht in den Kram passen : Angesichts der bei diesen Herrschaften zu recht wachsenden Furcht vor sozialen Unruhen , ja vor einem erneuten Aufflammen revolutionärer Gewalt zum Sturz des in der schwersten Krise seit 1929 steckenden Kapitalismus, soll die "68-er" Bewegung hämisch vorgeführt werden als dumme von der DDR-Führung ferngesteuerte Revoluzzer.-Und (fast) alle Journalisten und sonstigen bürgerlichen Schreiberlinge springen sofort auf diesen Zug auf! - Merke: das Volk ist nicht so dumm , im Jubiläums- und Super-Wahljahr auf solche plumpe bourgeoise Agitation und Propaganda hereinzufallen ! - G.Meske

  • RD
    Reiner Durst

    "Der Verschwörungstheoretiker fragt in solchen Fällen nicht nach den Fakten, sondern: "Wem nutzt es?"

     

    hmmmm. m.e. ist die frage durchaus berechtigt und legitim,ja geradezu notwendig.

    die frage nach ursache und wirkung muß doch wohl erlaubt sein (gerade in sachen politik und wirtschaft), ohne gleich als verschwörungstheoretiker(in?) verschrieen zu werden ...

     

    wie handhaben Sie als journalist das denn? fragen Sie nicht oder sind Sie die ausnahme?

     

    abgesehen davon, ist der nutzen auch ein faktum,

     

    in diesem sinne,

    rd