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Kommentar NiedersachsenwahlDa geht noch mehr

Das Ergebnis von Niedersachsen werten SPD und Grüne zu Recht als Aufforderung in den Lagerwahlkampf zu ziehen. Doch dazu brauchts mehr inhaltlichen Biss.

D ie Niedersachsenwahl hat gezeigt: Der gute alte Lagerwahlkampf wurde zu Unrecht geschmäht. Denn er mobilisiert: Alle vier Teilnehmer am großen Schaulaufen Schwarz-Gelb gegen Rot-Grün konnten Stimmen aus dem „Nichtwählerlager“ gewinnen. Nicht dass Wählerinnen und Wähler die Wahllokale eingerannt hätten – aber auch eine nur leicht erhöhte Wahlbeteiligung ist eine gute Nachricht für die Demokratie.

Die klare Lagersortierung politisiert zudem: Wenn es um die Wurst geht, also um „Wir oder die“, beginnen immerhin die Traditionsbürgerlichen, taktisch zu wählen und ihre Stimmen zu splitten. Könnte sich ja auch bei den Neubürgerlichen, also den „Linken“, herumsprechen. Der Effekt solchen Kalküls war nun in Niedersachsen zwar nicht schön für Schwarz-Gelb – aber ob das etwas am Wählerverhalten ändert?

SPD und Grüne werten das Ergebnis als Aufforderung, auch im Bund mit lautem Hurra in den Lagerwahlkampf zu ziehen. Zu Recht. Es ist dies schlicht das einzige derzeit erfolgversprechende Rezept – mit einem erkennbaren Unterschied zu Niedersachsen: Die Linkspartei mag sich im Westen unter die 5-Prozent-Hürde manövriert haben – im Osten wird das nicht passieren.

Bild: privat
Ulrike Winkelmann

ist Co-Leiterin des Inlandsressorts der taz.

Die Ost-Linken definieren sich, anders als die West-Linken, nicht nur über die Bekämpfung der SPD. Immerhin sind sie regionale Volkspartei. Umso weniger aber werden sie sich der altbundesrepublikanischen Lagerlogik beugen.

Solange die deutsch-deutsche Einheit links der CDU schlicht nicht stattfindet, bleibt SPD und Grünen daher nur eines: es besser zu machen als in Niedersachsen. Dort hätten sie vermutlich mehr als ein Mandat Vorsprung im Landtag, hätten sie ihre Inhalte nicht so weich verhandelt. Der als so „fair“ gelobte Wahlkampf war schließlich auch reichlich arm an Biss. Dabei lohnt sich die inhaltliche Attacke. Bei der Jauch-Sendung am Sonntagabend ging ein Ruck durchs Podium, als der Chefgrüne Jürgen Trittin endlich den Blick hob und die CDU-Chef-Niedersächsin Ursula von der Leyen in Sachen Mindestlohn angriff.

Die Themen liegen auf der Straße, und dort finden sie auch große Zustimmung: Märkteregulierung, Mieter- und Umweltschutz, Bürgerversicherung und so weiter. Wer Forderungen vorträgt, muss freilich den Eindruck erwecken, dass er sie auch durchsetzen will. Das Publikum wird es danken.

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Ulrike Winkelmann
Chefredakteurin
Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.
Ulrike Winkelmann
Chefredakteurin
Chefredakteurin der taz seit Sommer 2020 - zusammen mit Barbara Junge in einer Doppelspitze. Von 2014 bis 2020 beim Deutschlandfunk in Köln als Politikredakteurin in der Abteilung "Hintergrund". Davor von 1999 bis 2014 in der taz als Chefin vom Dienst, Sozialredakteurin, Parlamentskorrespondentin, Inlandsressortleiterin. Zwischendurch (2010/2011) auch ein Jahr Politikchefin bei der Wochenzeitung „der Freitag“.
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3 Kommentare

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  • J
    jana

    Der Chefgrüne Herr Trittin hätte bereits während der rot-grünen Regierungszeit im Bund 1998 bis 2005 für einen Mindestlohn kämpfen können. Da hat er aber lieber mit der SPD zusammen die unsoziale Lohndumping - Agenda 2010 eingeführt und den nicht existenzsichernden Armuts-Hartz-Iv-Satz für Arbeitslose, die nach einem Jahr noch keine Arbeit finden können. Übrigens ist der jetzt plötzlich von den grünen geforderte Mindestlohn von 8,50 pro Stunde viel zu niedrig. Da kommet man bei einer 40Stundenwoche auf nur 1300 Euro brutto. Wer kann davon bei den hohen Mieten noch leben?

     

    Und im Alter, falls jemand das heute seltende Glück hat, 40 Jahre eine Arbeit zu haben, kommt man bei dem rot-grünen Lohn nur auf das lächerliche Armuts- Rentenniveau der Grundsicherung,das im durchschnitt bei ca. 700 Euro liegt.

     

    Die taz berichtet viel zu unfundiert. Gerade in diesem extrem wichtigen Bereich.

     

    "Die Ost-Linken definieren sich, anders als die West-Linken, nicht nur über die Bekämpfung der SPD."

     

    Ich bin kein Mitglied der Linkspartei. Aber so beschränkt wie sie die taz-Redakteuerin darstellt, ist die West-Linkspartei wohl kaum.

     

    Die West-linkspartei fordert wenigstens 10 Euro Mindestlohn pro Stunde. Ist gegen sinnlose, von Rot-Grün gehypte Kriegseinsätze. Für einen existenzsichernden Hartz-Iv-Satz. Gegen die verfassungswidrigen Sanktionsmaßnahmen von Hartz-Iv-Betroffenen. Usw.

     

    Die taz ist einfach zu unkritisch gegenüber den Grünen und er SPD, das nervt.

  • A
    antares56

    "Könnte sich ja auch bei den Neubürgerlichen, also den „Linken“"...

    Das ist doch wohl ein schlechter Witz!

  • N
    Nils

    "Bei der Jauch-Sendung am Sonntagabend ging ein Ruck durchs Podium, als der Chefgrüne Jürgen Trittin endlich den Blick hob und die CDU-Chef-Niedersächsin Ursula von der Leyen in Sachen Mindestlohn angriff."

     

    Echt? Kam mir eher wie eine Showveranstaltung für die "sympathische" (*hüstel*) Ursula und ihren mitgereisten Fanclub vor. Fantastisch, wie da Botschaft um Botschaft, Falschdarstellung um Falschdarstellung platziert wurde, und das Publikum feierte es mit frenetischem Applaus. Mir wurde übel angesichts der hier mal wieder bestätigten Erkenntnis, dass die Öffentlich-Rechtlichen leider auch nichts anderes als eine Plattform für die Volksverdummungsbotschaften unserer Politiker sind, in besonderem Maße für das sogenannte "bürgerliche Lager". Jauch ließ es denn auch alles durchgehen. Journalisten sollten da mehr Rückgrad haben, wenn sie morgens noch mit gutem Gewissen in den Spiegel sehen wollen.