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Kommentar NiebelZiele verfehlt

Kommentar von Gordon Repinski

Zynisch die Entschuldigung, in der Krise sei nun einmal nicht mehr drin. Stärker als Industrieländer sind Entwicklungsländer von der Krise betroffen, an der sie unschuldig sind.

L ange hat sich Entwicklungsminister Dirk Niebel gegen die Wahrheit gewehrt, jetzt ist es raus: Deutschland wird sein Ziel nicht erreichen, bis zum Jahr 2015 0,7 Prozent der Wirtschaftsleistung in Entwicklungshilfe zu investieren. Bedauerlich, dass sich Niebel nicht selber dazu erklären konnte. Dabei folgen die geringeren Ausgaben für Entwicklungshilfe einem aus der schwarz-gelben Koalition bekannten Muster: Gespart wird bei den Ärmsten. Gestern Hartz-IV-Empfänger, heute Entwicklungsländer.

Zynisch ist die Entschuldigung, in der Wirtschaftskrise sei nun einmal nicht mehr drin. Natürlich ist das Geld knapp. Aber stärker als Industrieländer sind Entwicklungsländer von der Finanzkrise betroffen, an der sie unschuldig sind. Die Zahl der Armen ist global im letzten Jahr wieder über eine Milliarde gestiegen. Leider können wir ihnen nicht helfen, ist Niebels Nachricht. Denn Hotels und niedrige Steuern sind wichtiger. Doch wenn das Engagement für die Schwächsten an rosige Haushalte gebunden ist - dann rüttelt Deutschland an den Prinzipien eines solidarischen Miteinanders.

Die Rechnung wird kommen. Schon heute legen täglich Boote an den afrikanischen Küsten ab, in denen Flüchtlinge eng aneinandergequetscht ihren Kontinent verlassen. Auf dem Weg in die Europäische Union, die sich mehr und mehr gegen sie abschottet. Es wird nicht helfen. Die Armut muss in den Griff bekommen werden. Wenn schon nicht aus Solidarität, dann, liebe FDP, doch wenigstens aus Eigeninteresse. Dies muss noch nicht einmal mit Geld geschehen. Das 0,7-Prozent-Ziel hat keine wissenschaftliche Grundlage, es ist ein rein politisches Ziel. Die Entwicklungszusammenarbeit muss effektiver werden, Bürokratien müssen abgebaut werden. Eine unabhängige Bewertung der Projekterfolge ist unverzichtbar. Und die schädlichen Agrarsubventionen in Europa müssen abgeschafft werden. Effektivität fordert übrigens auch Dirk Niebel.

Gordon Repinski

ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz.

Den Nachweis, dass es ihm dabei um die betroffenen Länder geht - und nicht um eine Rechtfertigung von weniger Entwicklungsgeld -, ist Niebel bisher schuldig geblieben.

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2 Kommentare

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  • RP
    Roger Peltzer

    Ist es wirklich so, dass die Entwicklungsländer von der Krise stärker betroffen sind als die Industrieländer?? Die wesentlichen großen Schwellenländer wie China, Indien, Brailien waren und sind von der Krise ganz offensichtlich weniger stark betroffen. Und sie sind heute auch deutlich weniger verschuldet als die meisten Industrieländer. Dort leben aber immer noch die meisten Armen der Welt. Können wir das mit unserer Entwicklungshilfe ändern?? Ich denke, wenn die chinesische Regierung jetzt offensichtlich die Forderung ihrer Arbeiter nach Lohnerhöhungen unterstützt, dann hilft das wesentlich mehr den Armen in China und der Weltwirtschaft.

    Und noch eine Frage. Zum Höhepunkt des weltwirtschaftlichen Booms Anfang - Mitte 2008 vor der Finanzkrise kam es in vielen Ländern zu sogenannten Hungerrevolten. Ursache waren die stark anziehenden Preise für Öl und damit für TRansportkosten sowie die massiv ansteigenden Preise für Nahrungsmittel. Damals schrieb die TAZ, dass der Boom zu Lasten der Armen geht. Jetzt ist der Boom vorbei, die Nahrungsmittelpreise sind überall in der Welt wieder deutlich gesunken ebenso wie der Ölpreis. Hungerrevolten gibt es keine mehr. Aber egal, in welche Richtung sich die Weltwirtschaft entwickelt, es wird sich immer ein Kommentator in der TAZ finden, der schreibt, dass die Entwicklungsländer am Stärksten betroffen sind.

    Ich empfehle, mehr nachzudenken, bevor man in die Tastatur greift und das nachplappert, was der oberflächliche Common Sense ist. Und die Entwicklungszusammenarbeit als Geldtransfer verstanden (was eine ziemlich veraltetes Konzept ist), kann eh bestenfalls einen marginalen Beitrag dazu leisten, Auswirkungen weltwirtschaftlicher Entwicklungen zu korrigieren.

    Da ist die Konjunktur in den Industrieländern schon wichtiger. Wenn die nämlich rund läuft, überweisen unsere Migranten viel mehr in ihre Heimatländer. Und dieser Überweisungen sind in vielen Ländern schon wesentlich bedeutender als die Entwicklungshilfe.

     

    Roger Peltzer

  • VS
    Volker Seitz

    Es ist doch unsinnig immer mehr Geld zu fordern und nicht zuvor analysieren was in den letzten Jahrzehnten falsch gelaufen ist.Entwicklungshilfe kann nur dort erfogreich sein wo Machteliten selbst die eigenen Probleme angehen. Immer nur auf Hilfe von außen zu warten erzieht zur Untüchtigkeit. Ist es denn ehrenrührig wenn wir zugeben, dass die Milliarden nur wenig zur Änderung der Verhältnisse in Afrika bewirkt haben? Ohne diese Analyse wird die Hilfe weiter "ins Blaue" gegeben. Wir sollten mehr auf die erfahrenen Praktiker wie Uschi Eid oder Klaus Thüsing hören. Thüsing, SPD Linker und Leiter mehrerer DED Büros in Afrika sagte schon am 1.7.1992 in einem Interview mit der FR:" Wenn man die Lebenslage der Bevölkerungsmehrheit in Kenia ansieht, ist Kenia heute zweifellos ärmer als vor 25 Jahren." Das ist auch heute noch so, zwar gibt es dort die am höchsten bezahlten Abgeordneten der Welt,aber die Armen leben weiter nicht auf der Sonnenseite des Lebens.Ich denke die TAZ sollte sich auf die Seite Bedürftigen schlagen und eine Wirkungskontrolle der Entwicklungshilfe fordern. Sonst bleibt es in vielen Ländern dabei, was Thüsing schon 1992 sagte "Wir haben uns mit korrupten Eliten eingelassen..."

    Volker Seitz, Botschafter a.D. www.bonner-aufruf.eu