Kommentar Neuer EZB-Chef: Das Ende deutscher Dogmen
Die Berufung Draghis steht für einen Richtungswechsel in der EZB. Die wird nicht mehr nur ein starrer Wächter der Geldwertstabilität sein. Eine gute Nachricht.
D ie Europäische Zentralbank hat einen neuen Präsidenten: Mario Draghi. Zwar ist der Italiener noch nicht offiziell berufen, und Deutschland hat noch nicht offiziell zugestimmt - trotzdem ist nicht mehr zu bezweifeln, dass Draghi demnächst die Europäische Zentralbank (EZB) führen wird. Der Grund ist schlicht: Es gibt keinen besseren Kandidaten.
Schon sein Lebenslauf wirkt perfekt. Draghi hat in den USA promoviert, in Harvard und in Florenz gelehrt, war bei der Weltbank, bei Goldman Sachs und schließlich Chef der italienischen Notenbank. Dagegen wirkt der derzeitige EZB-Präsident Jean-Claude Trichet, der nur eine Karriere in der französischen Verwaltung vorzuweisen hatte, bevor er zum EZB-Chef aufstieg, geradezu provinziell.
An Draghi fällt auf, dass er sich bisher keine Feinde gemacht hat. Wissenschaftler sind von ihm genauso angetan wie die Politiker verschiedenster Euroländer. Denn Draghi ist Pragmatiker und Diplomat. Auf die Eurokrise reagierte er flexibel statt mit einem fixen Konzept. So unterstützte er die Entscheidung, dass die EZB Staatsanleihen aufkauft, um die angeschlagenen Eurostaaten zu stützen.
Ulrike Herrmann ist wirtschaftspolitische Korrespondentin der taz.
Draghi ist also keine Notlösung, nur weil Axel Weber nicht mehr zur Verfügung steht. Der Bundesbankpräsident hatte im Februar plötzlich verkündet, dass er auf eine Wiederwahl verzichtet - und fiel damit auch als kommender EZB-Chef aus. Dieser abrupte Abgang war mehr als nur eine persönliche Entscheidung. Er bedeutete auch, dass das deutsche Dogma der kompromisslosen Inflationsbekämpfung in Europa nicht mehr durchzusetzen ist.
Die Berufung Draghis steht für eine Richtungsentscheidung darüber, wie sich die EZB künftig definiert. Sie wird nicht nur ein starrer Wächter der Geldwertstabilität sein, sondern ihre Aufgabe auch makroökonomisch verstehen. Das ist eine gute Nachricht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett