Kommentar Nazigewalt: Die Angst der Demokraten
Neonazis greifen immer öfter Politiker und Amtsträger an. Damit treffen sie den demokratische Staat in Person. Schweigen, um Panik zu verhindern, hilft hier nicht weiter.
K aputte Scheiben und beschmierte Wände, verklebte Schlösser, nächtliche Drohanrufe oder gesprengte Briefkästen - das alles ist längst Alltag für Menschen in demokratischen Parteien und staatlichen Funktionen in Ost wie West.
In der Öffentlichkeit wird diese Grenzverschiebung der Aggression noch kaum wahrgenommen und reflektiert. Wohl auch deswegen, weil die Amts- und Würdenträger die Angriffe nur ungern publik machen. Sie wollen in ihren Städten und Gemeinden keine Panik aufkommen lassen. Die eigenen Ängste in der Öffentlichkeit einzuräumen sehen sie aber auch nicht als Option, weil das den Tätern nur Genugtuung verschaffen würde: Nachvollziehbar, aber die Nazis feiern ihre Anschläge auch so.
Das Ausmaß dieser Bedrohung schimmerte kürzlich auf einer Tagung gegen Rechtsextremismus für Kommunalpolitiker durch. Hier berichten Bürgermeister und Kommunalpolitiker aus Niedersachsen und Schleswig-Holstein, die sich gegen rechts engagieren, von den Anfeindungen. Mit Erwähnungen auf Neonazi-Websites fange es an, Brandanschläge folgten. Und nicht erst, wenn ein Sprengsatz fliege, sei sie da: die Angst, "Wenn man was tut, kommen die, sitzen im eigenem Garten". Eine Angst, die schon bewirken kann, besser nicht entschlossen gegen die Braunen vorzugehen.
ist Autor der taz und auf rechtsextreme Themen spezialisiert.
In diesem Jahr verübten Unbekannte bereits rund 60 Anschläge auf Wahlkreisbüros von Unna bis Stralsund. Neonazistische Übergriffe gegen alle, die nicht ins nationale Bild passen, gehören zum bundesdeutschen Alltag. Dass sich die Neonazis jetzt aber auch trauten, Politiker und Amtsträger anzugreifen, sei neu, betont etwa der Politikwissenschaftler Hajo Funke. Der demokratische Staat in Person wird angegriffen. Schweigen hilft da nicht weiter.I
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste