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Kommentar NazigewaltDie Angst der Demokraten

Andreas Speit
Kommentar von Andreas Speit

Neonazis greifen immer öfter Politiker und Amtsträger an. Damit treffen sie den demokratische Staat in Person. Schweigen, um Panik zu verhindern, hilft hier nicht weiter.

K aputte Scheiben und beschmierte Wände, verklebte Schlösser, nächtliche Drohanrufe oder gesprengte Briefkästen - das alles ist längst Alltag für Menschen in demokratischen Parteien und staatlichen Funktionen in Ost wie West.

In der Öffentlichkeit wird diese Grenzverschiebung der Aggression noch kaum wahrgenommen und reflektiert. Wohl auch deswegen, weil die Amts- und Würdenträger die Angriffe nur ungern publik machen. Sie wollen in ihren Städten und Gemeinden keine Panik aufkommen lassen. Die eigenen Ängste in der Öffentlichkeit einzuräumen sehen sie aber auch nicht als Option, weil das den Tätern nur Genugtuung verschaffen würde: Nachvollziehbar, aber die Nazis feiern ihre Anschläge auch so.

Das Ausmaß dieser Bedrohung schimmerte kürzlich auf einer Tagung gegen Rechtsextremismus für Kommunalpolitiker durch. Hier berichten Bürgermeister und Kommunalpolitiker aus Niedersachsen und Schleswig-Holstein, die sich gegen rechts engagieren, von den Anfeindungen. Mit Erwähnungen auf Neonazi-Websites fange es an, Brandanschläge folgten. Und nicht erst, wenn ein Sprengsatz fliege, sei sie da: die Angst, "Wenn man was tut, kommen die, sitzen im eigenem Garten". Eine Angst, die schon bewirken kann, besser nicht entschlossen gegen die Braunen vorzugehen.

Andreas Speit

ist Autor der taz und auf rechtsextreme Themen spezialisiert.

In diesem Jahr verübten Unbekannte bereits rund 60 Anschläge auf Wahlkreisbüros von Unna bis Stralsund. Neonazistische Übergriffe gegen alle, die nicht ins nationale Bild passen, gehören zum bundesdeutschen Alltag. Dass sich die Neonazis jetzt aber auch trauten, Politiker und Amtsträger anzugreifen, sei neu, betont etwa der Politikwissenschaftler Hajo Funke. Der demokratische Staat in Person wird angegriffen. Schweigen hilft da nicht weiter.I

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Andreas Speit
Autor
Rechtsextremismusexperte, Jahrgang 1966. In der taz-Nord schreibt er seit 2005 die Kolumne „Der Rechte Rand“. Regelmäßig hält er Vorträge bei NGOs und staatlichen Trägern. Für die Veröffentlichungen wurde er 2007 Lokaljournalist des Jahres und erhielt den Preis des Medium Magazin, 2008 Mitpreisträger des "Grimme Online Award 2008" für das Zeit-Online-Portal "Störungsmelder" und 2012 Journalisten-Sonderpreis "TON ANGEBEN. Rechtsextremismus im Spiegel der Medien" des Deutschen Journalistenverbandes und des Ministeriums für Justiz und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt. Letzte Bücher: herausgegeben: Das Netzwerk der Identitären - Ideologie und Aktionen der Neuen Rechten (2018), Die Entkultivierung des Bürgertum (2019), mit Andrea Röpke: Völkische Landnahme -Alte Sippen, junge Siedler, rechte Ökos (2019) mit Jena-Philipp Baeck herausgegeben: Rechte EgoShooter - Von der virtuellen Hetzte zum Livestream-Attentat (2020), Verqueres Denken - Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus (2021).
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12 Kommentare

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  • E
    end.the.occupation

    Das eigentlich bemerkenswerte ist doch, dass angezündete Autos zu einem öffentlichen Bohey führen - speziell natürlich zum Herbeireden einer links-extremistischen Bedrohung - während Angriffe von Nazi-Adepten auf die real existierenden Demokratie unter ferner liefen fallen.

     

    Das der braune Nazi-Mob kein Top-Thema ist zeigt nach m.E., dass die Medien - inklusive der taz - die Verteidigung der Demokratie und Freiheit (!) nicht für sooo wichtig halten.

     

    Sieht man hier der Zensur-Schere zu, wie Rath oder Winkelmann an der Militarisierung der BRD mitschneidern - u.a. durch die Vertuschung deutscher Kriegsverbrechen - wo versank etwa diese http://www.tagesschau.de/inland/kundusausschuss122.html Meldung? - dann kann das einen nur bedingt wundern. Die Freiheit erscheint hier nachrangig - viel wichtiger ist die Befolgung der deutschen Staatsraison.

    Ganz unzufällig werden so auch in der taz-Redaktion in diversen Bereichen Positionen vertreten, die von einer Mehrheit der Bevölkerung klar abgelehnt werden.

     

    Wenn nicht nur Frau Knaul, sondern auch der Rest der Redaktion seine Vorgaben direkt von einer Regierung der nationalen Verantwortung erhielte - warum eigentlich nicht? Ist doch auch viel weniger Arbeit.

  • T
    tektellin

    Zunächst möchte ich der taz danken, dass sie dem Leser die Möglichkeit einräumt, ihre Artikel zu kommentieren. Das (neue) Bild, das sich durch diesen taz-Artikel und einige Leser-Kommentare ergibt, war erst Anlass für mich hier auch zu schreiben: Die Bezeichungen "rechts" und "links" sind der Versuch politische Motive für Aktionen, hier Straftaten, zu benennen. Vielleicht sollte dies erst im zweiten Schritt unternommen werden. An erste Stelle steht: Hier verüben Menschen Straftaten gegen Rechtsgüter von Menschen, die sich aktiv für den Erhalt unseres friedlichen Staates einsetzen. Staatsanwaltschaft, Polizei und Verfassungsschutz sind hier aufgerufen und mit Sicherheit bereits aktiv, präventiv und repressiv einzuschreiten, gegen jeden Einzelnen, der diesen Rechtsstaat und ihre friedlichen Menschen verletzt. Wer gewalttätig wird, verfügt m.E. in der Regel über einen geringen IQ kombiniert mit fehlender Emphatiefähigkeit sowie fehlender Selbstkontrolle. Dies führt bei diesen Menschen dazu, dass sie sich a) als Opfer sehen und b) daraus ihre Berechtigung ableiten, andere Menschen zu verletzen. Das sind bedauernswerte, aber sehr gefährliche Menschen. Wir müssen mit allen Mitteln unseres Rechtsstaates gegen sie vorgehen.

  • M
    mar

    Seh ich das richtig, wird hier in den Kommentaren ständig ein Unrecht gegen das andere aufgerechnet, aufgewogen? "Ja, aber die Linken haben ja auch..., dann dürfen auch mal die Rechten!" Oder "Solange ihr nicht auch über die Linken meckert, dürft ihr gar nicht meckern!" Ich glaub, ich steh im Wald! Wenns was gibt, das ich noch mehr zum Kotzen finde als Feiglinge, die einen mit Gewalt einschüchtern wollen, dann solche, die danebenstehen, fein Abstand halten, aber verbal in die Kerbe hauen. Wenn ich sowas hier les, glaub ich, der Kalender irrt sich um 70 Jahre... Schön, dass man sich auf manche Dinge noch verlassen kann :-(((

  • A
    atypixx

    "Kaputte Scheiben und beschmierte Wände, verklebte Schlösser, nächtliche Drohanrufe oder gesprengte Briefkästen - das alles ist längst Alltag für Menschen in demokratischen Parteien und staatlichen Funktionen in Ost wie West."

     

    Ich denk, bisher galt das Schema "linke Gewalt gegen Sachen = halbwegs okay" und "rechte Gewalt gegen Menschen = böse". Was nun?

  • K
    Kabal

    Kriminalstatistiken belegen, dass rechtsextreme Straftaten rückläufig sind und von jenen von links längst überrundet wurden.

     

    Aber es sind ja nicht die (nicht vorhandenen) Gelder für den Kampf gegen den Linksextremismus, mit dem die Sympathisanten der von der taz so bezeichneten "demokratischen Parteien" (SPD, Grüne, Linke (!)) sich ein süßes Leben machen. Logisch, dass die entsprechenden Politiker über die braune Gefahr jammern, indes Antifanten und co. unliebsame Parteitage und Demonstrationen blockieren und den Verkauf "rechter" Zeitungen verhindern.

    Gut, dass die taz uns vor der Machtergreifung gewarnt hat.

  • A
    A.Grech

    "Der demokratische Staat in Person wird angegriffen. "

     

    Ach ja? Schlimm, schlimm! Im Ernst, die - angeblichen) - Ängste unserer politischen Kaste, wen interessiert's? Soviel ich weiss sind das Leute, die der Ansicht sind, quasi von Berufs wegen die Erlaubnis zum Lügen zu haben. Ein anderer Lieblingssport unserer "Volksvertreter", die Volksverdummung, kann bei mir auch nicht mit besonders viel Sympathie rechnen.

  • D
    dan

    okay.

    alles schön und gut.ich hasse den rechts/links-vergleich sehr, aber auch die extreme linke benimmt sich sehr oft nicht demokratiekonform.

    speziell farb- und brandanschläge auf büros/privathäuser missliebiger personen sind keine ausgewiesene spezialität der rechten!

  • A
    Amos

    Woran mag es wohl liegen? "Es ist mir einfach ungerklärlich".- Wie kann man denn etwas gegen brave Demokraten haben? Oder liegt es etwa an der Art, wie diese Demokraten die Demokratie zum Vorteil der Oberschicht benutzen. Ist der Verfassungsschutz hinter den Linken her um den Rechten verdeckte Zugeständnisse zu machen? Rechts ist für die Oberschicht weniger gefährlich.

  • V
    vic

    Da beobachtet der Staat doch lieber die Linke und ihre Abgeordneten (was reichlich langweilig sein muss).

    Schließlich ist der Applaus aller anständigen Bürger gewährleistet.

  • T
    tremolitotana

    Wer wollte noch gleich Rechtsextremismus und Linksextremismus unter völligen Totschweigens der extremistischen Mitte gleichsetzen?

     

    Und wer hat Rechtsextremismus mit Antifaschismus gleichgesetzt und den linken Antifa-Bewegungen das Geld gekappt um nun den linken Antinationalismus, Antirassismus und Antifaschismus zu bekämpfen?

     

    Die Nazis könnten schon längst massiv bekämpft sein, aber die reaktionären gesellschaftlichen Kräfte in Deutschland verhindern durch ihre bewusste wie unbewusste Sympathie und Unterstützung der Nazis deren Verschwinden in der Nichtigkeit.

     

    - Verfassungsschutz-Andy gegen Linksextremismus

    - Bespitzelung der Linkspartei durch den Verfassungsschutz

    - Kappung der Gelder und Unterstützungsverweigerung für die antifaschistische Linke

    - Verhinderung einer Kennzeichnung von PolizistInnen + unabhängige Gerichte um sich vor Prügelattacken, Verleumdungen und politischen Intrigen rechter Polizeistrukturen schützen zu können

    - Massive staatliche Arbeitshetze und Formen von Zwangsarbeit in Gestalt von Leiharbeit, Zeitarbeit und Bürgerarbeit

     

    ... mich wundert die Zunahme der Nazigewalt leider nicht. :-(

  • QV
    quo vadis??

    Verworrenes Thema, linke werden auf jeder demo verprügelt und jede anitfa-aktion von dubiosen diensten übellaunigst verfolgt... nun trifft die gewalt auch menschen, die sich aus der mitte der gesellschaft gegen rechts oder für diesen staat engagieren. wobei es lange klar war, dass die gewalt dort ankommt. das engagiert gegen neofaschistInnen gearbeitet werden sollte, muss langsam klar werden- von alleine wirds nicht besser!

  • S
    Sebastian

    Warum wird hier nur über Anschläge von Rechtsextremen berichtet? Die gleichen Anschläge gegen unsere Parteien kommen nämlich auch von Linksextremen! Wir müssen beiden Extremen entschieden und kraftvoll entgegen treten!