Kommentar Nahostkonferenz: Vor der dritten Intifada
Solange die Politik der Landnahme von Israel nicht beendet wird, sind alle "Friedenskonferenzen" zum Scheitern verurteilt. Auch das Treffen in Annapolis wird keine Lösung bringen.
M it der Konferenz in Annapolis versucht US-Präsident Bush zu retten, was zu retten ist. Doch in der arabischen Welt schlägt ihm und seinem Bündnispartner Israel einhelliges Misstrauen entgegen. Denn mehr oder weniger alle israelischen Regierungen haben während der 40-jährigen Besatzung einfach zu viele Fakten geschaffen, die von den USA und der EU toleriert wurden: Mehr als 100 Siedlungen in den besetzten Gebieten, darunter Wohnungen für etwa 250.000 israelische Staatsbürger allein in der Umgebung von Ostjerusalem, sowie eine gewaltige Mauer und Sperranlage, die teilweise mitten in palästinensisches Gebiet ragt.
Bis sich diese Politik der Landnahme nicht ändert, werden alle "Friedenskonferenzen" im Nahen Osten zum Scheitern verurteilt sein. Fast alle Palästinenser halten die Verlautbarungen von einem Siedlungsstopp und der Schaffung eines palästinensischen Staats, die vor Annapolis zu hören sind, für leeres Gerede. Sie fragen sich: Siedlungsstopp für wie lange? Nur bis zum Ende der Konferenz? Vierzig Jahre lang haben die Palästinenser auf diese Ankündigung gewartet. Sollte sie ernst gemeint sein - wie lange wird es dauern, bis die bestehenden Siedlungen im Westjordanland geräumt sind? In welchen Grenzen soll ein künftiger palästinensischer Staat errichtet werden, und wie unabhängig wird er sein?
Die Palästinenser werden noch lange auf Frieden warten müssen. Derweil werden die Grenzen zum Gazastreifen abgeriegelt und die Stromzufuhr gedrosselt. Die Bewohner des Gazastreifens dürfen nicht einmal in eigenen Gewässern fischen oder Blumen nach Holland exportieren. Der Flughafen ist zerstört, die Versorgungslage dramatisch.
Die Auseinandersetzung zwischen Hamas und Fatah zehrt an den Kräften. Nur der Zusammenhalt der Großfamilien und die Überweisungen aus dem Ausland ermöglichen das Überleben. Die meisten Palästinenser fragen sich nicht, ob sie die Besatzung bekämpfen wollen, sondern nur wie. Die Mehrheit hat sich für einen Staat in der Westbank und im Gazastreifen entschieden. Aber was ist die richtige Strategie gegen eine übermächtige Partei, die bisher kompromisslos versucht, ganz Palästina unter ihre Kontrolle zu bringen?
Selbstmordkommandos und Kassam-Raketen gegen israelische Zivilisten sind nicht nur moralisch falsch, sondern auch wirkungslos, das hat die bisherige Geschichte gezeigt. Doch eine Verhandlungslösung ist nicht in Sicht. Die dritte Intifada steht deshalb schon vor der Tür. Die Frage ist nur, für welche Form des Widerstands sich die Palästinenser dieses Mal entscheiden werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren