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Kommentar Muslim-StudieRückzug in die Religion

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Die Befunde der Muslim-Studie müssen beunruhigen. Doch der Rückzug in den radikalen Islam ist so weit nicht weg von der Flucht deutscher Jugendlicher in rechtsextreme Ideologien.

Z wei Studien hat die Bundesregierung in diesen Tagen vorgelegt, die Zündstoff bergen. Dass Deutschland seinen Zuwanderern kaum noch Chancen bietet, sei es an den Schulen oder auf dem Arbeitsmarkt - das ist das deprimierende Fazit, das sich aus dem Bericht ziehen lässt, den die Staatsministerin für Integration gerade vorlegt hat. Zugleich veröffentlicht das Innenministerium eine Studie, nach der unter muslimischen Jugendlichen die religiös-fundamentalistischen Einstellungen auf dem Vormarsch sind. Man muss kein Wissenschaftler sein, um zwischen beiden Befunden einen möglichen Zusammenhang zu erkennen.

Bild: taz

Daniel Bax, 37, ist taz-Meinungsredakteur.

Glaubt man der Studie, so scheint die Religion für viele muslimische Jugendliche an Bedeutung gewonnen zu haben. Und: Je religiöser, desto skeptischer gegenüber der Demokratie äußerten sich die Befragten. Von einer besonderen Gewaltbereitschaft unter Muslimen, wie in manchen Medien eifrig kolportiert, kann keine Rede sein. Nicht wenige hielten jedoch Gewalt in bestimmten Fällen für gerechtfertigt. Und eine radikale Minderheit äußerte offen Vorbehalte gegen Christen und Juden. Innenminister Wolfgang Schäuble spricht deshalb von einem "Radikalisierungspotenzial" unter jungen Muslimen.

In der Tat müssen die Befunde beunruhigen. Überraschen können sie allerdings nicht. Manch Muslimhasser mag sich jetzt in seinen Vorurteilen bestätigt fühlen. Doch für Pauschalurteile bietet die Studie wenig Stoff. Im Gegenteil, denn unter gleichaltrigen Deutschen und anderen Einwanderern finden sich, je nach Bildung und Schicht, vergleichbare Einstellungen. Und eine überwältigende Mehrheit der Muslime lehnt Terror im Namen des Islams ab.

Dafür müssen andere Aussagen alarmieren. So gab eine satte Mehrheit aller befragten Muslime an, schon einmal aufgrund ihrer Herkunft diskriminiert worden zu sein. Der Rückzug auf die eigene Religion scheint für manche da die logische Konsequenz. Und so, wie manche deutschen Jugendlichen in rechtsextreme Ideologien flüchten, suchen manche Einwandererkinder ihr Heil in einem radikalen Islam. Zu viele für diese Gesellschaft, um jetzt einfach wieder zur Tagesordnung überzugehen.

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er wurde 1970 in Blumenau (Brasilien) geboren und ist seit fast 40 Jahren in Berlin zu Hause, hat Publizistik und Islamwissenschaft studiert und viele Länder des Nahen Ostens bereist. Er schreibt über Politik, Kultur und Gesellschaft in Deutschland und anderswo, mit Fokus auf Migrations- und Religionsthemen sowie auf Medien und Meinungsfreiheit. Er ist Mitglied im Vorstand der Neuen deutschen Medienmacher:innen (NdM) und im Beirat von CLAIM – Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Er hat bisher zwei Bücher veröffentlicht: “Angst ums Abendland” (2015) über antimuslimischen Rassismus und “Die Volksverführer“ (2018) über den Trend zum Rechtspopulismus. Für die taz schreibt er derzeit viel über aktuelle Nahost-Debatten und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW).”
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