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Kommentar Mobbing am ArbeitsplatzSolidarität statt Ausgrenzung

Unternehmer, die ältere und besser bezahlte Arbeitnehmer aus den Betrieb mobben, betrügen ihre Mitarbeiter. Sie kündigen einseitig den Leistungsdeal.

M obbing ist billiger als ein Sozialplan. So funktioniert die Logik mancher Chefs, die Beschäftigte mit Psychoterror quälen. Ein Angestellter, der nach diversen Krankschreibungen irgendwann aus psychischen Gründen in die Frühverrentung wechselt, muss schließlich nicht teuer abgefunden werden. Die Schäden, die Mobbing anrichtet, sind immens - egal, ob es nun von Chefs ausgeht oder von KollegInnen. Es isoliert Menschen durch systematische Ausgrenzung, viele Opfer können nach solch einer zerstörenden Erfahrung nie mehr arbeiten.

Mobbing kündigt wesentliche Prinzipien auf, auf denen die Arbeitswelt basiert. Zusammenarbeit im Betrieb ist durch Regeln strukturiert, Mobbing hingegen bleibt dunkel und intransparent. Betroffene können sich vor Gericht kaum wehren, weil es oft in Vieraugensituationen passiert oder schwer zu definieren ist. Ist es schon Mobbing, wenn alle einen in Diskussionen ignorieren? Wenn keiner grüßt? Oder die Kaffeetasse ständig verschwindet?

Mobbing ist zudem der Ausdruck einer individualisierten Gesellschaft, die in den vergangenen Jahren auf ökonomische Effizienz gesetzt hat. Ob nun Unis ihre Studierenden auf Leistung trimmen, Firmen ständiges Funktionieren fordern oder die Gesellschaft Arbeitslosigkeit nach wie vor als selbst verschuldet stigmatisiert, all dies nährt eine Kultur, die Mobbing fördert.

Bild: anja weber

Ulrich Schulte leitet das Inlandsressort der taz.

Dass es häufig ältere Arbeitnehmer trifft, belegt nicht nur, dass Erfahrungswissen kaum noch geschätzt wird. Es beweist auch, wie zynisch Firmen ihren Vorteil ausrechnen. In Deutschland ist die Entlohnung in der Regel nach dem Senioritätsprinzip organisiert. Junge Beschäftigte leisten viel und bekommen wenig Geld. Je länger ein Angestellter im Betrieb arbeitet, desto mehr Lohn bezieht er - auch wenn im Alter die Produktivität sinkt. Kappen nun Unternehmen durch Mobbing die bestbezahlten Jahre, betrügen sie die MitarbeiterInnen, indem sie den Leistungsdeal kündigen.

Den Betroffenen bleibt im Prinzip nur eines: Sie müssen der Strategie Mobbing eine eigene Strategie entgegensetzen. Und sich sofort und koordiniert zur Wehr setzen - indem sie Vorfälle protokollieren, Hilfe suchen und Solidarität einfordern.

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Ulrich Schulte
Leiter Parlamentsbüro
Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.
Ulrich Schulte
Leiter Parlamentsbüro
Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.
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5 Kommentare

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  • CW
    christine Wieber

    Endlich einmal eine Zeitung, die sich dieses brisanten Themas annimmt!

    Ich habe nach dem Lesen des Textes von J. Damm erst einmal die Zeitung beiseite legen müssen: Überzeugend fundiert und keineswegs übertrieben dargestellt hat sie mit ihrer Recherche den Zeigefinger auf ein höchst empfindliches soziales Disaster in unserer Arbeitswelt gerichtet.

    Danke für diesen Artikel - er hat mich ermutigt, in meinem Umfeld genauer hinzusehen. Ich bin zwar Beamtin auf Lebenszeit, doch auch "unter uns" gibt es die Hackordnung und haben es die älteren Kollegen schwer, obwohl es hier nicht um Gehaltszahlungen geht; aber wenn einem die Achtung seiner Arbeit aberkannt wird und stattdessen Schikanen und Besserwissereien den Umgang bestimmen, dann verliert auch ein sicherer Lohnzettel immer mehr an Wert...Denn das, was unser tägliches Schaffen erst erfolgreich macht, das sind die Sinnhaftigkeit und Zufriedenheit, die wir uns und anderen damit geben!

  • K
    Kalle

    Das Thema hat sich in wenigen Jahren erledigt - nein, nicht durch den Fachkräftemangel (wenn es den überhaupt gibt), sondern durch Abschaffung des Kündigungschutzes (bzw. Kündigungsschutz erst ab 100 Mitarbeiter).

  • T
    Tannhäuser

    Es stimmt leider, dass psychischer Druck auf Arbeitnehmer zunimmt, selbst in grossen namhaften Unternehmen, von denen man dies nicht unbedingt erwarten würde. Dabei gibt es zwei Arten von Mobbing: 1. Mitarbeiter, die tatsächlich durch die moderne Arbeitswelt überfordert sind, nicht mehr effizient arbeiten können, aber sich weigern, den Arbeitsplatz oder das Unternehmen zu wechseln. Diese Leute werden mit Wissen der Vorgesetzten gezielt gemobbt. 2. Die noch böswilligere Variante hier in einem Beispiel. Eine junge, sehr ehrgeizige Akademikerin wird eingestellt. Den Posten, den sie gern hätte, wird von einem über 50jährigen besetzt. Die Leitung Personal gibt ihr zu verstehen, dass sie dessen Posten bekommen würde, wenn es ihr gelänge, den Mann "hinauszumobben". Dies ist ein authentischer Fall, geschehen in einem bekannten Unternehmen.

  • K
    Klaus

    Na ja,

    Solidaritaet, Hilfe suchen, ob das anzuraten ist? Besser ist es wahrscheinlich die Ober-Mobber zu veräppeln, sich einen Anwalt nehmen, ein dickes Fell wachsen lassen. Also sich zu wehren, anstatt zu leiden, denn das stärkt die Psyche.

  • KM
    Klaus-Dieter May

    Solidarität die gibt es doch schon lange nicht mehr!

     

    Heute sind 10, 20 oder 30 Jahre Betriebszugehörigkeit überhaupt nichts mehr wert. Wer so lange dabei ist und gar über 50 Jahre alt, ist ein Auslaufmodell, Besserwisser, ein Kostenfaktor, eine Fortschrittsbremse oder halt nicht mehr flexibel genug für die heutige Arbeitswelt, nicht mobil, nicht mehr vermittelbar.

     

    Es gibt zunehmend Prozesse an den Arbeitsgerichten wegen Mobbing, aber auch wenn Arbeitnehmer dort ihr Recht bekommen sollten (leider sehr selten) verlassen sie die Gerichte allzu oft als Verlierer, ihnen wird die Existenzgrundlage genommen, der Arbeitsplatz! Die Mobbingopfer werden, wenn sie Glück haben, mit einer Abfindung in die Arbeitslosigkeit verbannt, denn die Gerichte sehen zumeist das Arbeitsverhältnis als zerrüttelt an – auf der Strecke bleiben also die Arbeitnehmer!

    Und die Gewerkschaften schauen tatenlos zu – sie tendieren dazu, Gesundheit, Bildung, und soziale Sicherheit eher dem Staat zuzuordnen. Gesundheitliche Aspekte spielen in der gewerkschaftlichen Betriebs- und Tarifpolitik keine Hauptrolle. Regierung und Politiker waren bisher nicht gewillt, wie z.B. wie in anderen EU-Ländern, initiativ gegen Mobbing gesetzliche Regelungen zu installieren.

     

    Arbeitnehmer werden zunehmend nur noch als „Ware“ gehandelt. Unternehmen oder deren Manager, die Stellenabbau ankündigen, deren Aktien gewinnen an den Börsen sofort an Wert, zeigt das nicht auf, dass Menschen von Unternehmen zu „Ware“, zu „Artikel“ gemacht werden?

    „Arbeitnehmer sind nur noch eine Spekulationsware – Sklaven des Modernen Zeitalters.“

     

    Klaus-Dieter May

     

    "Pro Fairness gegen Mobbing" - Mitmach-Aktion gegen Mobbing: www.buerger-marktplatz.de

     

    Mobbing ist jegliche Form wiederholter, verbaler,

    psychischer oder körperlicher Belästigung durch einzelne oder mehrere Personen.

    Für Mobbing gibt es keine Rechtfertigung. Daher: niemals wegschauen!