Kommentar Mindestlohn: Proletarierführer, vereinigt euch!

Keine branchenübergreifenden Mindestlöhne? Lange wird die CDU dabei nicht mehr bleiben können. Denn selbst Konservative setzen sich inzwischen für Lohnuntergrenzen ein.

Wer die CDU mag, müsste ihr jetzt dringend einen Tipp geben: Ein Mindestlohn muss her. Bundesweit, branchenübergreifend und gesetzlich geregelt. So weltfremd kann man doch gar nicht sein, dass man seinem Koalitionspartner SPD eine mächtige Propagandawaffe schenkt, indem man darauf besteht, den Mindestlohn nur branchenweise einzuführen. So wird die Lohnuntergrenze garantiert mediales Dauerthema bleiben.

Kanzlerin Angela Merkel dürfte schon eingesehen haben, dass sie diese PR-Katastrophe im neuen Jahr rasch beseitigen muss. Und ihr wird wenig anderes übrigbleiben, als einen gesetzlichen Mindestlohn abzunicken. Mit reiner Rhetorik wird sie den größten taktischen Fehler jedenfalls nicht mehr korrigieren können, der der Union in dieser Legislaturperiode bisher unterlief.

Heute die Briefträger, morgen die Wachschützer, übermorgen die Zeitarbeiter - es gibt zahlreiche Branchen in Deutschland, in denen Dumpinglöhne üblich sind. Und jede Runde liefert der SPD einen neuen Anlass, die Union als Partei der sozialen Kälte anzuprangern. Doch die SPD ist für Merkel keineswegs das größte Problem - verglichen mit den anderen Diskutanten, die sich nun mit Vorschlägen zum Mindestlohn nach vorn drängen. Inzwischen profilieren sich auch unwahrscheinliche Kandidaten als Proletarierführer - ob nun Bischof Huber, der Arbeitsagentur-Chef oder der christdemokratische Arbeitnehmerflügel. Noch der kleinste Branchenverband kann plötzlich große Arbeitsmarktpolitik machen. Und jeder wirbt damit, wenn auch ungewollt, für die SPD.

Bisher hat sich Kanzlerin Merkel gern als nüchtern-gelassene Moderatorin verstanden. Deswegen war sie ja auch anfangs dafür, dass die Tarifparteien ihre Mindestlöhne allein aushandeln. Doch diese Lieblingsrolle der Unparteiischen wird sie aufgeben müssen. Beim Mindestlohn verlangen die Wähler eine entschiedene Linie, keine Dauerdebatte. Für die Union bleibt nur die Einsicht: lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. So paradox es ist, würde die SPD ausgerechnet durch einen Sieg beim Mindestlohn geschwächt. Und deswegen wird die Lohnuntergrenze kommen.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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