piwik no script img

Kommentar MindesthilfeSorglos im Ländle? Von wegen

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

In Berlin sind viermal soviele Einwohner auf staatliche Beihilfen angewiesen wie in Baden-Württemberg. Furcht vor einem Abstieg herrscht aber auch dort.

In Deutschland ist jedeR Zehnte auf sogenannte staatliche „Mindestleistungen“ angewiesen – und auf kostenfreie Sozialeinrichtungen, wie hier in Hamburg. Bild: reuters

W er in Berlin lebt, aber öfter in die wohlhabenden Städte nach Baden-Württemberg fährt, fühlt sich manchmal wie auf einer Reise in ein anderes Land, in die Schweiz vielleicht. Erkennbar arme Menschen sind im Straßenbild der Innenstädte erheblich seltener zu sehen als in der Hauptstadt. Der bürgerliche Bekanntenkreis in Baden-Württemberg kennt Hartz-IV-Empfänger meist nur vom Hörensagen.

Das Statistische Bundesamt hat erhoben, dass die Quote der Menschen, die von irgendeiner Art der staatlichen Mindestsicherung leben, in Berlin viermal so hoch ist wie in Baden-Württemberg. Das südliche Bundesland weist andererseits auch die bundesweit höchste Zahl an Selbstanzeigern auf, also an Reichen, die sich selbst wegen Steuerbetrug anzeigen, um einer Strafverfolgung zu entgehen.

Die regionalen Unterschiede erzeugen unterschiedliche Klischees. Man schaut vom Süden her auf Hartz-IV-Empfänger in den nördlichen Stadtstaaten gern mal mit Misstrauen, als ob das Ghettos wären, wo die Leute zu viel Party machen und sich bestenfalls mit einer staatlich gestützten Parallelökonomie durchwurschteln. Aus Sicht des Nordens wiederum gilt der Süden mit dem boomenden Arbeitsmarkt als privilegiert, wo man nichts Besseres zu tun hat, als über Ökoautos und Fußgängerzonen zu streiten.

Doch diese Klischees könnten an Bedeutung verlieren. Die Zahl der Grundsicherungsempfänger im Alter ist, obwohl noch sehr gering, auch im Süden im Steigen begriffen. Auch dort gibt es Scheidungen, Flexijobs, auch dort greift die Rentenreform mit in der Folge niedrigeren Ansprüchen. Im Alter ist man auf die Sozialkassen angewiesen. Die Sorge vor dem Abstieg im Alter könnte daher ein politisches Thema werden, das die Regionen in Zukunft wieder näher zusammenbringt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!