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Kommentar MindesthaltbarkeitsdatumDie Industrieschutzministerin

Jost Maurin
Kommentar von Jost Maurin

Es liegt ein konkreter Vorschlag zum MHD vor. Doch Ilse Aigner kneift. Wie so oft, wenn von ihr konkrete Schritte zum Verbraucherschutz gefordert werden.

D as ist ein typischer Aigner: Seit Monaten redet die Verbaucherschutzministerin davon, dass wir nicht so viele Lebensmittel wegschmeißen sollten, die noch essbar sind. Jetzt liegt ein konkreter Vorschlag dazu vor: Der missverständliche Begriff "Mindesthaltbarkeitsdatum" (MHD) soll so formuliert werden, dass weniger Käufer denken, sie müssten das Lebensmittel nach diesem Termin wegwerfen - obwohl es noch genießbar ist.

Und was tut Ilse Aigner? Sie kneift. Wie so oft, wenn von der Verbaucherschutzministerin konkrete Schritte zum Verbraucherschutz gefordert werden.

Dabei wäre es sehr sinnvoll, die MHD-Regeln zu reformieren. Wer weiß denn schon, dass das Mindesthaltbarkeits- etwas anderes ist als das Verbrauchsdatum? Nur Letzteres gibt nämlich laut Gesetz an, bis wann ein Nahrungsmittel ohne Gefahr für die Gesundheit gegessen werden kann. Das MHD garantiert dagegen auch, dass der Joghurt so aussieht wie in der Werbung der Lebensmittelindustrie.

Bild: taz
JOST MAURIN

ist Redakteur im Umwelt- und Wirtschaftressort der taz.

Wegen solch oberflächlicher Kriterien ist das MHD auch nicht die "große verbraucherpolitische Errungenschaft", als die Aigner es nun verteidigt. Und selbst wenn man das anders sieht: Was würde gegen eine klarere Formulierung sprechen? Etwa: "Voller Genuss bis zum Tag x". Und dazu: "Essbar bis zum Tag y".

Die Vorschriften zum MHD kämen von der Europäischen Union, begründet Aigner ihre Ablehnung einer Reform. Mag sein, dass Deutschland tatsächlich wenig Spielraum für Alleingänge hat. Aber die Bundesrepublik ist eines der wichtigsten EU-Länder. Aigner könnte in Brüssel eine Reform anstoßen. Doch daran hat die Ministerin gar kein Interesse.

Neue MHD-Regeln würden mehr Aufwand für die Lebensmittelproduzenten bedeuten. Und deren Belange waren der Verbraucherschutzministerin ja schon in früheren Diskussionen - etwa über die Kennzeichnung von Nährstoffen mit Ampelfarben - wichtiger als die der Konsumenten.

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Jost Maurin
Redakteur für Wirtschaft und Umwelt
Jahrgang 1974. Er schreibt vor allem zu Ernährungsfragen – etwa über Agrarpolitik, Gentechnik, Pestizide, Verbraucherschutz und die Lebensmittelindustrie. 2022 nominiert für den Deutschen Reporter:innen-Preis 2022 in der Kategorie Essay, 2018, 2017 und 2014 Journalistenpreis "Grüne Reportage". 2015 "Bester Zweiter" beim Deutschen Journalistenpreis. 2013 nominiert für den "Langen Atem". Bevor er zur taz kam, war er Redakteur bei der Nachrichtenagentur Reuters und Volontär bei der Süddeutschen Zeitung.
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11 Kommentare

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  • R
    rene

    Das die meisten Kommentare hier die ganze Diskussion für überflüssig halten, liegt meiner Meinung daran das die hier vetretenen TAZ-Leser über eine über dem Durchschnitt liegende Bildung besitzen. Als Familienhelfer sehe ich täglich wie gute Lebensmittel weggeworfen werden, weil das MHD überschritten worden ist. Meine Versuche den Menschen klar zu machen, dass die Sachen noch in Ordnung sind, wird oft mit dem Satz "Wenn das schon draufsteht hat das doch auch 'nen Sinn!" beantwortet. Leider musste ich auch feststellen, dass viele Familien eben NICHT in der Lage sind verdorbene von guten Lebensmitteln zu unterscheiden. Da die dies leider die Realität bei gerade nicht gebildeten Eltern ist fände ich eine neue Etikettierung nicht nur sinnvoll sondern sogar unbedingt notwendig.

  • HG
    Hedi Grunewald

    In Grossbrittanien, wo es die Deklaration "best before ..." gibt, wird genau soviel weggeworfen wie in Deutschland.

    http://www.lovefoodhatewaste.com/

    Hedi Grunewald

  • MM
    Maier M.

    Lebensmittel werden in der Regel von Erwachsenen gekauft. Den Begriff "Mindest"haltbarkeitsdatum nicht interpretieren zu können, ist daher nicht nachvollziehbar.

     

    Das Problem ist meines Erachtens ein ganz anderes: Es wird nicht bedarfsgerecht eingekauft, sondern schlichtweg erheblich zuviel. Nur so ist zu erklären, daß Lebensmittel (zu) lange aufbewahrt werden; sie wurden ganz einfach vergessen.

     

    Einkaufsverhalten wird aber nicht durch die Lebensmittelproduzenten vorgeschrieben. Auch Frau Aigner kann hier nichts unternehmen. Der Vorwurf geht demnach in die falsche Richtung. Daher dürfte auch eine begriffliche Änderung beispielsweise wie in Großbritannien "best before..." - am besten vor TT MM 2011 vebrauchen - nichts am Wegwerfverhalten ändern.

     

    Es ist noch nicht allzu lange her, daß mit wenig Geld bewußt Lebensmittel eingekauft und praktisch komplett verzehrt wurden. Die Gedankenlosigkeit, mit der heutzutage Lebensmittel von erwachsenen Verbrauchern zum gleichen Wegwerfprodukt degradiert werden wie Billigschuhe und Plastikspielzeug, ist erschreckend. Und das in einer Zeit, in der nicht wenige Menschen klagen, sie hätten zuwenig Geld zum Leben. Irgendwie paßt das nicht zusammen.

  • U
    Ulrike

    Kann mich Alex nur anschliessen: das ist so banal, das sollte nicht wirklich Arbeit der Politiker sein. Wenn die Leute wirklich zu blöd sind, DAS zu kapieren, gönne ich dem Handel seinen Verdienst. Der Händler verdient NICHT an den Sachen, die er runterzeichnen oder komplett abschreiben muss, weil das MHD erreicht ist und würde die Dosentomaten, den Reis und den Honig einfach noch ein halbes Jahr länger stehenlassen. Wenn die Leute zuhause nicht in der Lage sind einzuschätzen, ob sie Ihre Aldi-Hamster-Vorräte und Eismann-Gefrierklumpen noch essen können (dürfen? wollen???)...so what? If in doubt, throw it out. Aber bitte ohne Bevormundung. Und ist denn das englische "best before" oder die Italiener mit "da consumarsi preferibilmente prima del..." so viel eindeutiger? Das ist meiner Meinung nach eine typisch deutsche Oberlehrerdebatte.

  • JM
    Jules Mari

    Warum nicht das MHD in "Verkaufen bis"-Datum umbennen? Ob ein Lebensmittel noch essbar ist, lässt sich in der Regel ziemlich leicht feststellen.

    Und für Lebensmittel, bei denen tatsächlich grosse Gefahren für die Gesundheit drohen sollten, kann man ja immer noch ein "Nicht essen nach"-Datum anbringen.

  • WW
    W. Wacker

    "Der missverständliche Begriff "Mindesthaltbarkeitsdatum" (MHD) soll so formuliert werden, dass weniger Käufer denken, sie müssten das Lebensmittel nach diesem Termin wegwerfen"

     

    Wieso ist der Begriff für jemanden, der Denken kann, missverständlich? Der Begriff "voller Genuss" auf einer Tüte Mehl würde mich doch auch nicht dazu bringen, dieses "genussvoll" zu löffeln.

     

    Nicht vergessen darf man auch, dass das Mindesthaltbarkeitsdatum eine ununterbrochen korrekte Lagerung voraussetzt. Ich zumindest erlebe sehr oft unterbrochene Kühlketten bei Radsport und Lagerung. Wer nicht?

     

    Vernünftige und informierte Verbraucher nutzen auch bei Lebensmittel ihr Hirn, machen ein sensorische Probe, und halten sich nicht sklavisch an irgendwelche aufgedruckten Daten.

  • N
    Nichtschwimmer

    Okay, man kann das MHD sicherlich benutzerfreundlicher nennen. Aber deswegen extra ne Reform in der EU anstossen? Da haben wir wahrlich größere Probleme und der deutsche Michel, der ja ständig nach mehr Bürgerbeteiligung plärrt, kann ja seine politische Mündigkeit dadurch beweisen, das er sich mal eigenverantwortlich klar macht, was dsa MHD ist, wofür es steht und was es eben nicht darstellt!

  • M
    Michael

    Ich finde nicht, daß man der Ministerin vorwerfen kann, daß die meisten Leute zu blöd zum Lesen sind, vom Denken mal genz abgesehen!

    Vielleicht wäre eine Aufklärungskampagne wirkungsvoller als ein Streit um Worte.

    Die müsste dann natürlich auf RTL II-Niveau sein.

  • V
    vic

    Aigner, Niebel- um nur zwei zu nennen. Diese "Fachminister" praktizieren recht genau das Gegenteil dessen, wofür sie sich einsetzen sollten.

    Wenn die Verbraucher das MHD nicht richtig interpretieren können, dann muss der Begriff verbessert werden, klare Sache -

    und gar nicht schwierig

    Fr. Verbraucherverunsicherungsministerin Aigner.

  • A
    Alex (2)

    "Dabei wäre es sehr sinnvoll, die MHD-Regeln zu reformieren. Wer weiß denn schon, dass das Mindesthaltbarkeits- etwas anderes ist als das Verbrauchsdatum?" - Jeder, der eins und eine zusammenzählen kann und die Bedeutung des Wortes "Mindestens" kennt? o.O Oder wie wärs damit: Jeder, der in seinem Leben mindestens einmal den Satz gehört hat: "Koste mal die Milch, ob die schon sauer ist"... Manmanman, Verbraucherschutz in allen Ehren, aber das ist doch nun wirklich eine Banalität, die jeder in puncto Hauswirtschaft gemeistert kriegen sollte.

    Hey, wie wärs mit nem Unterrichtsfach Hauswirtschaft. Da gibts dann sowas wie Mülltrennung, Kochen, Putzen und die Vermittlung genießbarer Lebensmittel...

  • A
    anke

    Neue Regeln würden nicht nur mehr Aufwand für die Lebensmittelproduzenten bedeuten, sondern auch weniger Umsatz für Hersteller und Handel. Wer nämlich isst und nicht wegschmeißt, was noch essbar ist, der braucht nicht so viel nachzukaufen. Aber Leute, die am Ende des Monats regelmäßig am Minimum zirkeln, und sich von der Industrie und ihrer Ministerin ein X für ein U vormachen lassen, sind ja noch nie Zielgruppe von Verbeserungsvorschlägen der Regierenden gewesen. Die müssen schon froh sein, wenn man ihnen nicht zum Schutz vor der eigenen Blödheit auch noch die Butter verteuert, die man ihnen nachher vom Brot nimmt.