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Kommentar Merkels AtompolitikDer Kanzlerin ist nicht zu trauen

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Was bei der Kanzlerin fehlt, ist Selbstkritik, dass die schwarz-gelbe Politik der Laufzeitverlängerung falsch war. Und das dreimonatige Moratorium bietet den Vorteil des Ungefähren.

W enn Unionspolitiker den Reißschwenk in der Atompolitik begründen, reden sie öfters von den TV-Bildern aus Japan. Diese Bilder seien so suggestiv, dagegen könne man keine Politik machen. Das ist kein gutes Argument. Es erhärtet den Verdacht, dass dieser Schwenk ein opportunistisches Manöver ist, um den Totalcrash zu vermeiden. Denn Bilder sind intensiv, aber flüchtig.

Wir haben in den letzten zwölf Wochen Bilder des Dioxinskandals gesehen, der Revolution in Tunesien und Ägypten, des Bürgerkriegs in Libyen und über die dreisten Ausreden von Guttenberg gestaunt. All das ist überblendet von den Bildern aus Fukushima, vom 24-Stunden-Nachrichtenbilderfluss, von dem man sich kaum abkoppeln kann. Ist absolut sicher, dass uns die Bilder aus Fukushima in drei Monaten nicht genauso schattenhaft fern erscheinen werden, wie derzeit die vom Lügenbaron oder dem Dioxinskandal?

Der Verdacht gegen Angela Merkel lautet, dass sie diese strukturelle Vergesslichkeit der Mediendemokratie einkalkuliert. Das dreimonatige Moratorium für die Alt-AKWs bietet den Vorteil des Ungefähren, Unverbindlichen. Schwarz-Gelb versichert, dass man bis Mitte Juni brauche, um die Sicherheit der deutschen AKWs zu überprüfen. Das ist schwer zu glauben. Es ist jedenfalls kaum zu erwarten, dass dieser Sicherheitscheck völlig neue, unbekannte Risiken zutage fördern wird oder soll.

taz

STEFAN REINECKE ist Redakteur im Berliner Parlamentsbüro der taz.

Merkel sichert sich mit dem Zeitpuffer vielmehr ab. Es ist ein Art Vorratsbeschluss für alle Szenarien, für den Fall, dass der Fall-out über dass Meer treiben wird und der Super-GAU ausbleibt wie für den eines zweiten Tschernobyl mit zehntausenden Toten. Natürlich wird das entscheidend beeinflussen, wie es nach dem 15. Juni mit der schwarz-gelben Atompolitik weitergeht.

Der Zweifel, wie ernst Merkel die Wende in der Atompolitik meint, ist nach ihrem Auftritt im Bundestag größer geworden. Die Kanzlerin hat Rot-Grün vorgeworfen, deren Atomausstieg sei unzulänglich gewesen. Das ist zwar richtig - aber aus dem Mund der Union, die diesen Ausstieg erst erbittert bekämpft und dann halb zurückgenommen hat, Hohn. Was bei der Kanzlerin fehlt, ist schlicht Selbstkritik, wenigstens eine Andeutung, dass die schwarz-gelbe Politik, Alt-AKWs fast ein Jahrzehnt länger laufen zu lassen, falsch war.

Souverän geht anders. Der Aktionismus verdeckt nicht, dass Merkel eine Getriebene ist. Diese Verunsicherung spiegelt sich bis in ihren Stil. Mal tritt sie wie die Konsenskanzlerin der großen Koalition mit präsidialen Gestus auf, die das große Ganze im Blick hat, dann wechselt sie unversehens in den kleinkarierten Wahlkampfmodus. Demokratien zeichnet die Fähigkeit zur Selbstkorrektur aus. Deshalb sind sie Autokratien überlegen, die so lange an Fehlern festhalten, bis ihre eigene Existenz auf dem Spiel steht.

Merkel will, so ihre Ankündigung, einen neuen gesellschaftlichen Konsens in der Energiepolitik. Das ist, nach Fukushima, richtig. Doch die Kanzlerin schürt die Illusion, dies gehe ohne grundsätzliche Korrektur der schwarz-gelben Atompolitik. Sie verspricht ein bisschen Wende, mit Rückgabegarantie. Das wird nicht reichen.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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15 Kommentare

 / 
  • V
    vic

    Ich dagegen traue Merkel alles zu.

    Alles, so lange es von Nutzen für sie ist.

    Aber egal.

    Selbst wenn sie, wie jetzt, die Kurve mal zu spät kriegt, wird sie dafür von einigen verwirrten Gemütern noch gelobt.

  • P
    Peter

    "...Was bei der Kanzlerin fehlt, ist schlicht Selbstkritik..." Das hat sie in der DDR nicht gelernt. Sie ist von der Fähigkeit zu Selbstkritik soweit entfernt wie einst Honecker.

  • K
    kalle

    ich stand bisher AKWs relativ neutral gegenüber, weil ich mich nicht für Restrisiken interessiere. Das Risiko, daß mir ein Dachziegel auf den Kopf fällt ist so klein, damit kann ich leben.

    Japan und auch all den anderen kleinen Geschichten um Fastunfälle bei Reparaturen lassen mich umdenken, die Kernkraft gehört auf den Prüfstand und dann wohl über zehn Jahre heruntergefahren. Tschernobyl hätte ich noch auf schwache Technik und Institutionen zurückgeführt. Insofern hat die Anti-AKW-Bewegung recht gehabt und sie hat das Argument gewonnen. Das konnte sie aber nicht vorher wissen, sondern das ist das Ergebnis der letzten Ereignisse. Mit der überzogenene Angstkommunikation und der Nullrisikotoleranz der Anti-AKW-Bewegung kann ich weniger anfangen.

    Merkel wird eine Wende vollziehen, die dieser neuen Risikoeinschätzung gerecht wird. Das ist sachlich, demokratisch und das ist genau ihre Rolle in demokratischer Politik - die Leute wollen was anderes, es gibt eine andere Politik. Einen Charakterdefekt würde ich ihr unterstellen, wenn sie die neue Lage nicht zur Kenntnis genommen hätte. Genau das ist nicht der Fall.

  • FB
    Franz Beer

    Angela u Ihre Partei tut wirlich alles für uns dummen Menschen.Toll dieser Einsatz. Nach einem Atomunfall im fernen Japan muß die Sicherheit überprüft werden.Also dazu hatte man die letzten 50 Jahre genug Zeit ,ebenso die Lagerung von A-Müll. Mittlerweile frage Ich mich ob es auch etwas gibt was Angela und die CDU nicht tun würden um die Wahlen zu gewinnen.Jetzt ,nachdem Gutti von der ,,Bild,,fläche verschwunden ist,stuttgard 21 ,Pause macht ebenso wie die A-Lobby die erfreulicherweise 3 Monate braucht um zu sagen das Ihre A- Werke marode sind.Wie wäre es denn mit Wahlversprechen wie.Jeder H-4 bekommt 5 Euro mehr wenn er CDU wählt,Rentner bekommen 2% mehr Rente-CDU wählen,Hotelies brauchen keine Steuern mehr bezahlen,Und alle sind Happy .Angela das Resümee nach deiner Amtszeit ist ,Gutverdienende verdienen toll.Arme verdienen toll weniger,und alles andere Innen wie Außenpolitisch geht dir am Teflon-Ar... Vorbei. Finde Ich richtig ,man sollte auch mal abschalten.

  • D
    Dirk

    Es ist im Augenblick nicht einfach, der aalglatten schwarz-gelben Riege ihre bodenlose Frechheit unter die Nase zu reiben. Warum? Weil alles in einem "Hätte-Hätte-Hätte" verschwimmt, angesichts unsagbarer gegenwärtiger und zu befürchtender Gefahren und Tatsachen, die bereits Realität haben oder unweigerlich bekommen werden.

    Trotzdem fühle ich mich (und andere auch) zur Nicht-Person deklassiert! Wenn Merkel und Co. öffentlich und unisono posaunen, dass durch Fukushima eine völlig neue Sachlage auch für die AKW-Gegner entstanden sei, die vorher nicht bekannt war. Übrigens in das auch Herr Trittin, dessen atomkritisches Engagement als Bundesminister ich für relativ lobenswert hielt und halte, da er gegen eine geballte Front das gerade noch Durchsetzbare zu verwirklichen suchte, mit einstimmt!

    Wenigstens mein Umfeld hat seit Mitte der 1970er Jahren auf solche nicht kalkulierbare Szenarien verwiesen und wurde damals als emotional, unwissenschaftlich etc. diffamiert. Nun ist genau dies (mindestens schon zum zweiten Male) eingetreten und unsere Befürchtungen, obwohl nunmehr verifiziert, werden noch immer abgekanzelt. Das ist perfide!

    Und noch etwas: Genau der gleiche Mechanismus findet aktuell mit der Gentechnik statt: Wir "wissen" genau um die Gefahren, und später wird es auch wieder heißen: Das war nicht vorhersehbar.

    Nichtsdestotrotz trotz: Wie kann man politischen Akteuren trauen, die sich offenbar so massiv geirrt haben? Selbst wenn man eine echte Läuterung annimmt, stellt das doch ihr gesamtes Urteilsvermögen in existenziellen Bereichen in Frage!

  • R
    Realität

    Die Sachlichkeit und Struktur der Politik Merkels, nicht nur in der Atomfrage, gefällt mir deutlich besser als die geiferndern Grünen und Linken. Trittin hat nun wirklich eine ganz und gar populistische Atompolitik gemacht (Endlager...) und andere sind nicht besser gewesen. Ich jedenfalls bin froh, daß Merkel unsere Kanzlerin ist. Ein Sigi Pop oder gar eine Künast, die sich sogar freut, daß tausende Opfer in Japan ihren Plänen in die Hände spielen, wären schlecht für Deutschland. Die Realität zeigt doch, daß wir viel besser regiert wurden als z.B. Grichenland,Irland,Spanien,Portugal,Italien.....Die wären allesamt sehr glücklich unsere Erfolge zu haben.

  • GV
    Georg von der Oder

    Wer sowas schreibt spricht Menschen Lernfähigkeit, Würde und Sorge ab.

    Die Wahrheit: Euch gehen die Feinde aus.

    Und ihr tobt, weil euch die Felle davon schwimmen. Ohne Feind kein Ehr!

    Blöd, wenn jetzt sogar die CDU sagt: Atomkraft - nein Danke!

    Seid ihr Linken eigentlich unfähig zur Freude?

  • MD
    maria daubenbuechel

    frau merkel zieht immer gerade die register,die sie braucht,aber sie kalkuliert eiskalt,um an der macht zu bleiben.das bedeutet z.b. die anstehenden wahlen

    zu gewinnen.danach dreht man alles weiter in die angestrebte richtung.es liegt am bürger,ob sich daran etwas ändert.statt sich vom fernsehn einlullen zu lassen"ein bischen entspanne,weil das leben ja so anstrengend ist" sollte man sich auf anderen wegen informieren,schon alleine deshalb,um der beruhigungstaktik der regierung und der atommaffia nicht auf den leim zu gehn.denn das ist sicher,passiert etwas umfassendes in einem deutschen reaktor

    dann taucht ist die regierung unter (so wie 1986,da war von der damaligen regierung tagelang kaum etwas zu hören) und die atombetreiber ganz sicher und

    das volk darf dann wie immer und überall die fehlenscheidungen ausbaden.

  • F
    fazleser

    Worauf ich warte:

     

    Dass Merkel, Mappus, Westerwelle, etc auf der Kanzel stehen und rufen:

     

    Danke Atomkraftbewegung, danke, vielen Dank, dass Ihr verhindert habt, dass es bei uns nicht noch viel mehr Atomkraftwerke, Wiederaufbereitungsanlagen, Schnelle Brüter ... gibt. Danke! Danke! Danke!

     

    Dann würde ich vielleicht anfangen, mir Gedanken über die Glaubwürdigkeit der ganzen Bande zu machen.

     

    Aber vorher?

    Nie!

  • S
    snoopy

    Über die Karriere Merkel braucht sich keiner zu wundern,der ihren Charakter kennt.Sie wartete stets ab um dann bei Gelegenheit in die richtigen Ärsche zu kriechen. Worüber man sich wundern muss, ist das die CDU immer noch 37% in den Umfragen hat. Eine Partei der Lügenbarone mit 37%? Geht's noch? Jetzt wartet sie erst mal wieder ab "aus welcher Richtung der Wind weht".

  • M
    marleen

    Wie sie sagte es hätte sich eine neue Lage ergeben. Das stimmt , durch den Tsunami haben sich die sicherheitsstandards im deutschen Atomkraftwerk verschlechtert. Die neue Lage von der Frau Merkel socht ist wohl bevorstehene Wahl im Atomkraftland Baden Würtemberg.

  • H
    Hans

    Die Kanzlerin führt die Menschen hinters Licht. Und am Ende laufen diese extrem gefährlichen AKWs weiter. Dabei wäre der Ausstieg möglich gewesen und er würde Arbeitsplätze schaffen. Aber er schadet den großen Interessen und um die geht es bei Merkel. Deswegen haben wir eine katastrophale Lage in diesem Land.

     

    Merkel macht aus 5 EURo für Arbeitslose eine Riesennummer und setzt ein paar Millionen Menschen einfach nuklearen Risiken aus, die nicht notwendig wären. Ich kann nur sagen, dass diese Regierung selbst Schröder, Scholz und Müntefering noch drastisch überbietet. Hoffentlich erhält Merkel die rote Karte an den Wahlurnen.

  • K
    Karl

    "strukturelle Vergesslichkeit der Mediendemokratie"

     

    gefällt mir nicht.

    Das schmeichelt den Wählern viel zu sehr.

     

    Fakt ist, dass es schlicht ein Mythos ist, dass die Wähler ein Gedächtnis hätten.

    Und auch den Wählern fehlt jeder Ansatz zur Selbstkritik. Alle sollen doch schuld sein, die bösen Politiker, die bösen Lobbyisten, und jetzt mal die bösen Medien (was sich auch noch als besonders aufgeklärt geriert, weil es in einer Zeitung steht; würg.)

     

    Nur die Wähler, das sind die reinsten Unschuldslämmer; eine sehr interessante Betrachtungsweise des mündigen Bürgers übrigens.

    Auf Politiker hingegen darf man sogar dann noch wie ein Rohrspatz schimpfen, wenn man genau das bekommt, was man bestellt hat (Stichwort gehaltenes Wahlversprechen Atompolitik).

     

    Sowas sollte man sich mal im Restaurant erlauben; oder auch nur an der Imbissbude hinterm Bahnhof.

    Da würde man Senf und Ketchup zu Recht ohne weitere Diskussion auf die weiße Bluse geschmiert bekommen. Wenn es um Politiker geht, gehört so ein Benehmen hingegen (ohne Übertreibung) zum guten Ton.

  • V
    vic

    Politik nach Bilderlage.

    Populismus, wie er dumpfer nicht sein könnte.

    Es gibt aufgrund der Ereignisse in Fukushima in Deutschland nichts zu prüfen. Es hat sich an der Risikosituation sowohl während des "normalen" Betriebs, als auch danach nichts geändert. Vom Störfall ganz zu schweigen

    Ihr Kurs ist geradezu jämmerlich durchsichtig und schwach.

    Doch gut bezahlte Miet-Experten sind bereits allerorten medial zu finden, um den Boden für Monat vier zu bereiten.

    Bis 2013 weiß das niemand mehr.

  • HM
    Hans Mayer

    "Wenn Unionspolitiker den Reißschwenk in der Atompolitik begründen, reden sie öfters von den TV-Bildern aus Japan. Diese Bilder seien so suggestiv, dagegen könne man keine Politik machen".

     

    Genau so. Und umgekehrt: Könnte man die Bilder unterdrücken oder abschwächen, wäre die Politik die gleiche geblieben und die so plötzlich aufgrund der Erdbeben- und Tsunami-Gefahr in Deutschland fragwürdig gewordene "Sicherheit" wie eh und je bestens. Deutlicher kann man nicht sagen, was von der "Wende" zu halten ist.